Graf York von Wartenburg (5. Kapitel)

 

Graf York von Wartenburg [5. Kapitel]


Des Helden Leben und Thaten.


Erzählt von

L. Würdig


Glogau.


Verlag von Carl Flemming.


V.


Vom Frieden zu Tilsit bis zum Krieg mit Rußland (1807-1812).


Yorks Auswechslung ward äußerst lässig betrieben. Es schien, als wollte der übermütige Feind auch dadurch das stolze und harte Gemüt des königstreuen Preußen kränken.

Aber eine Freude ward dem tapfern York in dieser Zeit der schweren Not doch zu teil. Die in Lübeck gefangenen Mittenwalder Jäger hatten sich nach und nach fast alle zu ranzionieren gewußt und leisteten jetzt dem kühnen Schill auf dessen Streifzügen und in der treuen Festung Kolberg die trefflichsten Dienste. So begann Yorks ausgestreute Saat auch in andern Kreisen die besten Früchte zu tragen. Endlich wurde er doch ausgewechselt. Er eilte sofort nach der Provinz Preußen, um seinem König und Vaterland nach Kräften zu dienen. Unterwegs erhielt er die erschütternde Kunde, daß auch Danzig gefallen sei, ein Ereignis, durch welches auch Preußens letzte Hoffnung zu schanden geworden war.

In Braunsberg traf York jenen preußischen Offizier, der damals vor Jena seinen Kameraden das Experiment mit dem Hute demonstriert hatte, jetzt aber selbst ein Gefangener der Franzosen war. York, höchlichst erbittert, begrüßte ihn mit den keineswegs da Unglück schonenden Worten, „es sei schade, daß er nicht zur rechten Zeit seinen strategischen Hut von Jena zugehalten habe.“

In Königsberg erfuhr York, daß ihm der König wegen seiner Entschlossenheit und Bravour zum Generalmajor befördert habe. Nach dem unglücklichen Friedensschluß von Tilsit, demzufolge Preußen auf alles Land auf dem linken Elbufer verzichten, seine meisten Festungen dem Feind einräumen mußte, im ganzen nur zweiundvierzigtausend Mann Soldaten halten durfte, und was dergleichen Bonapartesche Demütigungen mehr waren, ward York von seinem ihm sehr gnädig gesinnten König zum Kommandanten von Memel ernannt und erhielt zugleich den Oberbefehl über alle in der Umgegend stehenden Truppen.

Aber eine noch größere Ehre war unserm York zugedacht: er sollte nämlich Erzieher des Kronprinzen werden. Der brave Mann lehnte jedoch das Anerbieten dankbar und demütig ab. „Versichern Sie dem König,“ schrieb er unter anderm an den General von Köckeritz, „daß, so glücklich mich auch das Zutrauen Sr. Majestät gemacht hat, ich dennoch zu dieser hohen Stellung nicht passe und sie unter keinen Umständen annehmen darf, ohne mich des Verrats gegen ein solches Zutrauen schuldig zu machen,“ und so weiter.

Anfang September ward York beauftragt, mit dem Marschall Soult wegen einiger Mißverständnisse in betreff des Friedenstraktats zu verhandeln. Wie unangenehm ihm dies Geschäft war, geht aus deinem Briefe hervor, den er in jener Zeit an einen Freund schrieb. Es hieß darin: „Meine Lage ist sehr unangenehm. Nur meine Dankbarkeit und Anhänglichkeit an den König und der Wunsch, soviel als meine Kräfte vermögen, nützlich sein zu können, bewegen mich, alle die Grobheiten und Demütigungen zu ertragen, die ich tagtäglich anhören muß. Es scheint, als ob der Teufel mit dieser Nation im Bunde steht, und daß unser Herrgott sich um nichts mehr kümmert. Sie wissen, wie ich die Franzosen hasse, und dazu muß ich noch in meiner Lage dieser Nation hier und da eine Kerze anstecken, um etwas loszueisen.“

Im Januar 1809 erhielt York den Oberbefehl über die in ganz Westpreußen stehenden Truppen und unterzog sich der schweren, aber für die Folge so segensreiche Arbeit, mit dem General von Scharnhorst an der Umbildung des preußischen Kriegswesens thätig zu sein.

Auf bessere Zeiten hoffend, war er gegen die damals in gewissen Kreisen herrschende Ansicht, innigen Anschluß an Frankreich zu suchen. Gleich Blücher, Stein, Scharnhorst und andern brannte er auf Kampf gegen Napoleon.

Schills kühnes Unternehmen war ganz in seinem Sinn. Da er um diese Zeit gerade in Berlin anwesend war und den Volksjubel über des kühnen Mannes Auszug mit erlebte, auch die Nachrichten aus Hessen, Tirol und Österreich immer günstiger lauteten, eilte er mit Kurierpferden wieder ostwärts, um so schnell wie möglich bei seiner Brigade sein zu können.

Doch es ist allgemein bekannt, daß alle diese Hoffnungen ebenso schnell wieder schwanden, wie sie aufgetaucht waren. Die Kette des französischen Zwingherrn legte sich nur um so enger und drückender um die deutschen Fürsten und Völker; noch hatte die Stunde der Befreiung nicht geschlagen.

So ward auch York gezwungen, auszuharren, nach echter Seemansart das sinkende Schiff nicht zu verlassen, bei aller Not und Schmach dennoch die Fahne Preußens hochzuhalten.

Schon zu Anfang des Jahres 1811 entging es keinem hellsehenden Manne mehr, daß Napoleon Freundschaft gegen Kaiser Alexander von Rußland, welche damals bei Preußens Sturz in Tilsit geschlossen und ein Jahr darauf bei dem Kongreß zu Erfurt erneuert war, zu erkalten begann. Es lagen viele Gründe vor, die auf einen völligen Bruch zwischen beiden Staaten schließen ließen. Napoleon stand auf dem Gipfel seiner Macht. Den Engländern hatte er durch die Kontinentalsperre ihren Lebensnerv, den Handel, unterbundn, Preußen zertreten; die deutschen Rheinbundfürsten – traurigen Angedenkens – schleppte er in seinem Gefolge; mit Österreich war er durch eine Heirat verbunden, wenn sich der stolze, ehrfürchtige Emporkömmling entschloß, auch dem mächtigen Rußland einen Besuch abzustatten und dadurch auch den nordischen Zar, Kaiser Alexander, an seinen Triumphwagen zu fesseln? - Im Laufe des Sommers verbreiteten sich Gerüchte von bedrohlichen französischen Rüstungen im damaligen Großherzogtum Warschau; aber auch Rußland zog große Truppencorps an seiner Westgrenze zusammen. So glühte der Brand schon lange unter der Asche, ehe er in hellen Flammen völkerverderbend aufschlug.

Angesichts solcher Vorbereitungen glaubte auch York nicht unthätig bleiben zu dürfen. Mehr und mehr zog er seine Truppen zusammen und verstärkte besonders die Festung Graudenz. Als Napoleon von diesen Maßregeln erfuhr, brach er gegen das Berliner Kabinett in sehr harte Worte aus. „Die Truppenbewegungen in Westpreußen sind verdächtig,“ schrieb er, „denn nimmer werdet Ihr mir einreden, daß sie, wie Ihr glauben machen wollt, gegen England gerichtet sind.“

Weil er einen bewaffneten Einfall der Russen in Polen, infolge desselben einen Aufstand in Preußen befürchtete, richtete er sein ganzes Augenmerk auf dieses Land. Französische Agenten eilten nach Pommern, Schlesien und Preußen, um die militärischen Vornahmen zu beobachten und jede freie Regung im Volke mit Pulver und Blei zu ersticken.

Dabei drängten die Dinge immer mehr und mehr zur Entscheidung. Nachdem Napoleon ein Bündnis mit Österreich geschlossen hatte, nach welchem dieses ihm dreißigtausend Mann Soldaten gegen Rußland stellen sollte, machte er denselben Antrag auch in Berlin. Preußen schwankte. York rief dem König zu einem Bündnis mit Rußland; Hardenberg war für ein preußisch-französisches. Man befand sich in einer peinlichen Lage. Da die Franzosen im Land waren, hätte man beim geringsten Hinneigen zu Rußland leicht Gefahr laufen können, auch den letzten Schein von Selbständigkeit zu verlieren, überhaupt ein Staat zu sein.

Es galt eine Entscheidung über Leben und Tod. Und dennoch, wollte man es zum äußersten treiben, so gebot man immer noch über ansehnliche Mittel, nötigenfalls den Krieg gegen Frankreich zu beginnen. So hatte man durch Scharnhorsts Einrichtungen, durch welche Rekruten eingezogen, geschult und wieder entlassen wurden – das sogenannte Krümpersystem – 120 000 geübte Soldaten und konnte sich auf die Festungen Pillau, Kolberg und Graudenz stützen.

Aber man unterließ alles; der Schmach und Schande war noch nicht genug, das Volk noch nicht erregt genug, um durch eine große, kühne That seine langjährigen Peiniger zu vernichten.

Zu Anfang Februar 1812 kam Preußens Bündnis mit Frankreich zu stande; er verpflichtete sich, zwanzigtausend Mann zu Napoleons Fahnen stoßen zu lassen.

Beim Kundwerden dieses Ereignisses verließen an dreihundert Offiziere die preußische Armee, darunter Gneisenau, Boyen, Scharnhorst, Klausewitz, Dohna. Viele gingen nach Rußland, viele nach Spanien, um gegen Napoleon zu kämpfen.

York blieb. Ein Verlassen der Fahne seines Königs hielt er, der kein Politiker, sondern Soldat war, gerade jetzt für ein weit größeres Verbrechen, al zu jeder andern Zeit. Sein König ernannte ihn zum Generallieutenant und zweiten Befehlshaber des Hilfscorps. Der erste war General von Grawert, der auf Napoleons ausdrücklichen Wunsch dazu berufen ward.

Unter die betreffende Instruktion für York hatte der König eigenhändig geschrieben: „Es ist mir sehr viel daran gelegen, daß Sie die Ihnen bestimmte Stelle annehmen, da mir Ihre bewährte Treue, Anhänglichkeit und Kriegserfahrenheit zur Genüge bekannt ist, und ein solcher zuverlässigern Mann bei diesem Corps und unter solchen Umständen notwendig wird.“

Später äußerte York: „Ich mußte Anno 12 ins Feld rücken, in einen Kampf gegen mein Gefühl und unter so widrigen Verhältnissen, daß nur meine Unterwürfigkeit gegen den mir stets heiligen Willen meine Königs mir Gehorsam gab.“

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