Graf York von Wartenburg (7. Kapitel)

Graf York von Wartenburg [7. Kapitel]


Des Helden Leben und Thaten.


Erzählt von

L. Würdig


Glogau.


Verlag von Carl Flemming.


VII.


Die Anfänge des Jahres 1813.


Am ersten Tag des Jahres 1813, das so reich an Ereignissen, Ehren und Siegen werden sollte, traf York mit seinem Generalstab in Tilsit ein, während seine Truppen, noch vierzehntausend Mann, ihre Stellung zu beiden Seiten der Memel genommen hatten. Die ersten Kosaken unter General Tettenborn hatten schon am 21. Dezember die preußische Grenze überschritten.

Hier im Osten der Monarchie fand York eine begeisterte Stimmung vor. Des verhaßten Drucks müde, drängte alles zur schnellen Entscheidung. Wackere, hochverdiente Männer, namentlich der Herr von Auerswald, Oberpräsident der Provinz, und der treffliche Herr von Schön, Präsident in Gumbinnen, machten ohne alle Menschenfurcht die von York begonnene Sache zu der ihren, zur Sache des Vaterlandes, und sorgten für Geld, Mannschaften und Proviant. Aber so groß auch der Eifer der wackeren Ostpreußen für die endliche Befreiung ihres jahrelang geknechteten Vaterlandes war, so lau ward die Verfolgung der Franzosen von den Russen betrieben. Wittgensteins Truppen nahmen sich die größte Muße, und nur dadurch gelang es Macdonald, dem drohenden Verderben zu entrinnen. Durch ein schnelleres Vorrücken der Russen wäre mit einem Schlage das Land bis zur Weichsel frei geworden, da Danzig von den Franzosen nur schwach besetzt war.

Yorks Lage ward dadurch eine sehr mißliche, zumal es in seinem Wesen lag, von den schwärzesten Gedanken bestürmt zu werden. Wenn der abgeschlossenen Konvention mit den Russen nicht schnell a l l e Wirkungen folgten, wenn der König noch länger mit seinem freien Entschluß zögerte, und das Volk sich nicht wie e i n Mann erhob, um den erschöpften, fliehenden Feind völlig zu vernichten, so mußte sie von unsäglich schweren Folgen für Preußen sein, König und Volk in den sicheren Abgrund stürzen.

In dieser peinlichen Lage, von den Umständen gedrängt, entschloß sich York trotz des Übereinkommens, nach der Hauptstadt der Provinz, nach Königsberg, zu gehen. Hier langte er am 6. Januar abends in Begleitung von fünfzig Husaren an, während seine Truppen ihm langsam folgten, und erfuhr zu seiner großen Freude, daß General von Bülow schon am 2. Januar, auf die erste Kunde von der Konvention, mit seinen Truppen heimlich die Stadt verlassen habe und auf Graudenz marschiert sei.

In Königsberg ward dem General York ein begeisterter Empfang bereitet. Jung und alt, vornehm und gering drängten sich, den wackern Mann zu sehen, der den ersten kühnen Schritt zur Befreiung seines Vaterlandes gethan hatte. Die Studenten der Albertina zogen unter Fackelschein vor Yorks Quartier und brachten dem Retter des Vaterlandes ein donnerndes Hoch. Der junge Graf von Auerswald, derselbe, der im September 1848 in Frankfurt am Main sein Leben unter Bubenhänden aushauchte, war der Sprecher der Studenten.

Aber bald wieder kamen unbeschreiblich trübe Stunden für den patriotischen York. Am 10. Januar nämlich lief die Nachricht von Berlin ein, der König habe die Konvention verworfen.

Macdonalds Kurier war eher als Thile in Berlin angekommen und hatte den König von allem unterrichtet. Se. Majestät war außer sich über diesen Abfall des Generals und äußerte: „Da möchte einen ja der Schlag rühren.“ York sollte abgesetzt, nebst Massenbach arretiert, und der Oberbefehl über die preußischen Truppen dem Generalmajor von Kleist übertragen werden.

Mit diesen strengen Befehlen eilte des Königs Flügeladjutant, Major von Ratzmer, gen Königsberg.

Major von Thile kam erst den 5. Januar in Berlin an. Er überreichte sofort dem König Yorks Schreiben und konnte so manches zur Erläuterung der Verhältnisse und Entschuldigung Yorks hinzufügen, das den Monarchen schon um vieles ruhiger stimmte.

Als Major von Ratzmer im russischen Hauptquartier anlangte und vom Grafen Wittgenstein befragt ward, was er so Dringliches an York zu berichten habe, antwortete er, daß er dem General den Befehl seiner Absetzung überbringe und Kleist als dessen Nachfolger vom König bestimmt sei.

Unter so bewandten Umständen verweigerte ihm natürlich Graf Wittgenstein die Erlaubnis zur Weiterreise. Dennoch erfuhr York aus Privatbriefen, wie es in Berlin stand. Er war tief erschüttert; denn durch Verwerfung der Konvention war das, was er gethan, als Feigheit und Infamie gebrandmarkt, seines Corps und Preußens letzte Waffenehre verloren.

York war entschlossen, das Kommando an Kleist zu übergeben. Dieser aber weigerte sich entschieden, es anzunehmen, da von Berlin noch keine bestimmte Antwort eingetroffen, und er selbst nicht minder strafbar als York war. Selbst noch dann, als York erklärte, er werde die Truppen aufmarschieren lassen und ihm öffentlich, vor der Front, das Kommando übergeben, antwortete Kleist, daß er es auch dann zurückweisen werde.

So ward York gezwungen, des Königs Befehl – so schwer es dem alten, pflichttreuen Soldaten auch fiel, - zu ignorieren. Noch konnte er sich damit entschuldigen, daß er von seiner Absetzung nur gerüchteweise gehört habe.

Da klärte sich auf einmal der Himmel für den schwer geprüften Mann etwas auf. Bülow ließ ihm melden, daß er mit seinen bisher gethanen Schritten sich vollständig einverstanden erkläre und sich ihm mit seinen gesamten Truppen zur Befreiung des Vaterlandes anschließen werde.

Ein Auszug aus Yorks Antwortschreiben an General Bülow möge hier eine Stelle finden:

„Was für Ansichten hat man in Berlin? Ist man schon so tief gesunken, daß man es nicht wagen darf, die Sklavenketten zu zerbrechen, die wir nun schon jahrelang so demütig getragen? Die Armee will den Krieg gegen Frankreich, das Volk will ihn, der König will ihn; aber der König hat keinen freien Willen. Die Armee muß ihm diesen Willen frei machen. In kurzem werde ich mit fünfzigtausend Mann bei Berlin und an der Elbe sein. Dann werde ich zum Könige sagen: „Hier, Majestät, ist Ihre Armee, und hier ist mein alter Kopf. - Ich handle kühn, aber ich handle als treuer Diener, als wahrer Preuße und ohne alle persönlichen Rücksichten. - E r k ä m p f e n, e r w e r b e n wollen wir unsere nationale Freiheit und Selbständigkeit; diese aber als ein Geschenk annehmen und erhalten, hieße die preußische Nation an den Schandpfahl der Erbärmlichkeit stellen und sie der Verachtung der Mit- und Nachwelt preisgeben. Handeln Sie, General, es ist absolut notwendig, sonst ist alles auf ewig verloren.“ -

Doch noch einmal sollte York eine schwere Prüfung bestehen. Die Berliner Zeitungen vom 19. Januar brachten auch nach Königsberg die Nachricht, daß der König die Konvention mit den Russen verworfen, und der General York das Kommando der Truppen niederzulegen habe.

Diese Nachricht wirkte niederschlagend auf die Bevölkerung, eine große Unzufriedenheit über das Verhalten der Regierung herrschte in allen Ständen. Und wiederum drang York in Kleist, das Kommando zu übernehmen, und wiederum lehnte es dieser entschieden ab. So ward York auch jetzt gezwungen, sollte nicht große Verwirrung einreißen und alles verloren gehen, das Kommando zu behalten. Infolgedessen brachte die Königsberger Zeitung vom 28. Januar nachstehende Erklärung Yorks:

„Nach einem Artikel in einigen Exemplaren der Berliner Zeitung vom 19. d. M. Soll der Major und Flügeladjutant von Ratzmer an den Herrn Generalmajor von Kleist abgeschickt worden sein, um ihm den Befehl zu überbringen, mir das Kommando des königlichen Armeecorps in Preußen ab- und dagegen es selbst zu übernehmen. Der Herr von Ratzmer ist jedoch weder zu dem Herrn von Kleist, noch zu mir gekommen, und ich werde daher auch um so unbedenklicher fortfahren, das Generalkommando des Corps und die anderen Funktionen ferner auszuüben, als im preußischen Staate bekanntlich kein offizielles Staatsblatt ist und bis jetzt noch kein General seine Verhaltungsbefehle durch die Zeitungen erhalten hat.“

Endlich, am 29. Januar, kehrte Yorks Adjutant, Major von Thile, aus Berlin zurück und brachte die bedeutungsvolle Nachricht mit, daß der König zur Sicherheit seiner Person, und um in der außerordentlichen Lage freier handeln zu können, am 22. Januar von Potsdam nach Breslau gegangen sei.

Da traten am 5. Februar die von Schön und Auerswald berufenen ostpreußischen Stände zusammen, um Yorks bisheriges Verfahren zu sanktionieren und möglichst große Mittel zur Befreiung des Vaterlandes zu bewilligen. - „Das war ein Landtag,“ sagte später Präsident von Schön, „der mächtiger als der Brand von Moskau und die sechsundzwanzig Grad Kälte wirkte.“ Einmütig erklärten die Stände: Krieg gegen die verhaßten Franzosen! Wir wollen siegen oder sterben! -

General von York, der in der Versammlung erschien, sprach in kurzen, mächtigen Zügen von Preußens Schmach und von Preußens Hoffnung, und schloß dann seine Rede mit den Worten: „Ich hoffe die Franzosen zu schlagen, wo ich sie finde, und rechne hierbei auf die kräftige Teilnahme aller. Ist aber die Übermacht zu groß, nun, so werden wir ruhmvoll zu sterben wissen.“

Diese einfachen Worte des Helden riefen einen unbeschreiblichen Beifallssturm wach, und jubelnde Lebehochs begleiteten ihn bei seinem Abtritt. Er aber, der bescheidene und demütige Mann, sagte zu den Rufenden: „Nicht hier, erst auf dem Schlachtfelde bitte ich mir das aus.“

Und was hier in Königsberg vorging, teilte sich rasch der ganzen Provinz mit. Eine große, heilige Begeisterung durchglühte alle. Zu dem höchsten Opfer bereit, drängten sich Jünglinge und Männer zu Yorks Fahnen. Die Landwehr und der Landsturm wurden errichtet, und York ward die Seele von allen Unternehmungen.

Mitte Februar ging die Adresse der Ständeversammlung wegen der gefaßten Beschlüsse an den König nach Breslau. Friedrich Wilhelm III., dessen bekannter Ausdruck damals war: „Napoleon müsse sich erst ins Unrecht setzen,“ mißbilligte äußerlich die Vorgänge in Königsberg und ließ dem General von York auch nicht die geringste Weisung über sein ferneres Verfahren zugehen.

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Ja noch mehr: Laut Kabinettsordre vom 1. März ward Yorks Adjutant, von Seydlitz, Kommandeur des Garde-Jägerbataillons. York, der den trefflichen Mann nicht gern verlieren wollte, bat den König inständig, ihm Seydlitz zu lassen, worauf die kurze Antwort erfolgte, es müsse bei dem einmal Befohlenen sein Bewenden haben. Zu Seydlitz‘ Nachfolger als Adjutant ward Major Hiller von Gärtringen ernannt. Als sich dieser bei York meldete, wurde er in rauher Weise empfangen. York sprach: „Ich brauche keinen Adjutanten mehr, seit man mir meinen Freund Seydlitz genommen!“ worauf Hiller entgegnete: „Ich habe mich ebenso wenig dazu gedrängt, Ew. Excellenz Adjutant zu werden, allein diesen Krieg gegen die Franzosen werde ich mit Freuden mitmachen und müßte es als Tambour sein.“ Dies entschlossene Wort, nicht leidenschaftlich, aber mit festem Ton gesprochen, nahm York gut auf, ward bald Hillers Freund und wußte den wackern Mann gut zu verwenden.

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Aber die Umstände drängten immer mehr; und als dann bald die ersten dunklen Gerüchte umliefen, daß Preußen im Begriff stehe, mit Rußland ein Bündnis gegen Frankreich abzuschließen, und infolge des königlichen Aufrufs vom 3. Februar 1813 überall die waffenfähige Jugend zu den Fahnen eilten, brach York mit zwanzigtausend Truppen von Königsberg auf und marschierte an die Weichsel. In dem Städtchen Conitz traf er mit Wittgenstein und Bülow zusammen, und es ward beschlossen, in drei Kolonnen gegen die Oder vorzugehen.

Mittlerweile war der hochedle, d e u t s c h e Freiherr von Stein aus dem russischen Hauptquartier zum Könige nach Breslau geeilt, und es gelang ihm endlich, den immer noch schwankenden Herrn für ein Bündnis mit Rußland zu gewinnen. Dies abzuschließen, sandte nun der König den preußischen General von Scharnhorst zum Kaiser Alexander nach Kalisch.

In Arnswalde erfuhr York das wichtige Ereignis durch ein eigenhändiges Schreiben seines Königs, das erste wieder nach der Zeit des Mißtrauens und der Ungnade. Friedrich Wilhelm stellte darin auch die Truppen Bülows unter Yorks Befehl, forderte ihn aber dringend auf, alle Feindseligkeiten gegen die Franzosen noch so lange zu vermeiden, bis er sich öffentlich erklärt haben werde.

Gleichzeitig mit Preußens Kriegserklärung an Napoleon und jenem unvergeßlichen Aufruf: „An mein Volk,“ der wie ein mächtig zündender Blitzstrahl traf und jeden und alle zum heiligen Kampf für das Vaterland rief – den 17. März 1813 – rückte York mit seinen Truppen durch das Königsthor in Berlin ein.

Kopf an Kopf gedrängt, in unabsehbarer Menge, stand das Volk in den Straßen, um den wackern York und seine braven Krieger zu begrüßen. Und als dann der General erschien, begleitet von dem Prinzen Wilhelm von Preußen, dem Grafen Wittgenstein und dem russischen Gouverneur von Berlin, dem Fürsten Repnin, da brach ein unermeßlicher Jubel aus, und immer von neuem begrüßte man den Helden, „den Erretter des Vaterlandes,“ mit Hochs und Tücherschwenken.

„Aber ein Bild stolzer Strenge und Kälte,“ sagte ein Augenzeuge, „zog York dahin, er ritt vor seinen Truppen her, ohne den Blick auf die jubelnde Menge rechts und links zu wenden.“ Nur gegen die von dem Balkon des Schlosses herab grüßenden Prinzessinnen senkte er seinen Degen, hielt unter ihren Fenstern und ließ die Truppen vorbeimarschieren.

Zum 23. März war York zu dem abends vorher von Breslau in Potsdam eingetroffenen König beschieden. Es wird erzählt, daß man im Vorzimmer erst einen lauten Wortwechsel, drinnen dann ein allmählich beruhigteres Sprechen gehört habe, bis zuletzt York mit dem Ausdruck freudiger Rührung aus dem Kabinett getreten sei. Kaiser Alexander von Rußland verlieh dem Helden um diese Zeit den Alexander-Newsky-Orden und erfreute ihn durch ein schmeichelhaftes Handschreiben.

York blieb mit seinem Corps neun Tage in und um Berlin stehen. Es gab viel zu thun, um Waffen, Ausrüstung, Kleidung, Mannschaften und Pferde in kriegstüchtigen Stand zu setzen. Der Tag des Ausmarsches war der 27. März. Das Yorksche Corps, jetzt vielleicht 24 000 Mann stark, ward unter Wittgensteins Befehl gestellt und erhielt zunächst den Auftrag, zwischen Torgau und Meißen die Elbe zu überschreiten und dann gemeinschaftlich mit dem Blücherschen Corps auf Altenburg loszugehen.

Am Morgen des genannten Tages traten die Truppen vor dem königlichen Schlosse an. Yorks würdiger Feldprediger S ch u l z hielt eine ergreifende Rede und weihte die Krieger für das Vaterland. Kein Auge blieb trocken. „Das Predigen und Weinen macht mir die Soldaten zu weich,“ sagte York, trat dann selbst an den Feldaltar und sprach ungefähr folgendes: „Kameraden! Drei Tugenden sind des Soldaten höchste Zierde: Mut, Ausdauer und Mannszucht. Von uns aber, die wir in den Kampf für eine heilige Sache ziehen, erwartet das Vaterland noch etwas Höheres: ein edles, menschliches Betragen selbst gegen den Feind- Um aber das höchste der Güter, die Befreiung des Vaterlandes, zu erkämpfen, müssen wir auch bereit sein, das Höchste einzusetzen. Von diesem Augenblick an gehört keinem von uns mehr sein Leben. Keiner muß darauf rechnen, das Ende des Kampfes erleben zu wollen; er sei freudig bereit sein Leben für König und Vaterland zu opfern.“ Dann zurücktretend nach der Seite hin, wo das Leibregiment stand, rief er: „Soldaten, jetzt geht‘s in den Kampf! Ihr sollt mich stets an Eurer Spitze sehen! Thut Eure Pflicht; ich schwöre Euch, mich sieht ein unglückliches Vaterland nicht wieder!“

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Von diesem Tage an trug er Gift bei sich.

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Der alte Oberst Horn, einer der tapfersten Degen des Heeres, Kommandeur des Leibregiments, vermochte sich nicht zurückzuhalten. Er umarmte York und rief laut: „Das geloben auch wir, ich, das Leibregiment und das ganze Corps werden dem Beispiel unseres Generals folgen!“ - „Das soll ein Wort sein!“ rief ein in Reih und Glied stehender Soldat, worauf es vom ganzen Corps wie aus e i n e m Munde erschallte: „Ja, das soll ein Wort sein!“

Von diesem erhebenden Gefühl erfüllt, marschierten die Truppen unter dem feierlichen Geläut der Domglocken aus Berlin, um schon wenige Tage später den angelobten preußischen Schlachenmut glänzend an den Tag zu legen.



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