Graf York von Wartenburg (13. Kapitel)
Graf York von Wartenburg [13. Kapitel]
Des Helden Leben und Thaten.
Erzählt von
L. Würdig
Glogau.
Verlag von Carl Flemming.
XIII.
Einzelnes vom General York von Wartenburg, sein Tod, seine Persönlichkeit, sein Charakter und sein Angedenken.
Napoleons Flucht von Elba und seine triumphierende Rückkehr nach Frankreich nötigte Preußen von neuem, zu den Waffen zu greifen. Der Oberbefehl über das Heer war York zugedacht, da Blücher zu alt sei, seinen Ruhm nicht durch neue Siege mehren, wohl aber durch Mißlingen mindern könne. Blücher aber sagte: „Was das für dummes Zeug ist!“ zog den Säbel und zertrümmerte bekanntlich am 18. Juni 1815 bei Belle-Aliance Napoleons I. Macht und Herrschaft für immer.
Statt dessen ward York Oberbefehlshaber des fünften Armeecorps, das sich bei Magdeburg, Wittenberg und Torgau sammelte. York war außer sich über diese vermeintliche Zurücksetzung und bat den König um seinen Abschied. In diesem Gesuch hieß es unter anderem: „Von der weisen Beurteilung Ew. Majestät kann ich mit Gewißheit voraussetzen, daß es Allerhöchstdenenselben nicht entgangen ist, mit welcher Hingebung, mit welcher Anstrengung, mit welcher Selbstverleugnung, ja mit welchem Glück ich die letzten Feldzüge gemacht habe. Ohne Verblendung, ohne Selbstfurcht kann ich keck jeden zur Verantwortung der Fragen auffordern: Wer war der letzte auf dem Schlachtfelde von Groß-Göschen? Wer deckte den Rückzug nach der Schlacht von Bautzen? Wer entwarf den Rückzug nach dem schlecht eingeleiteten Gefecht von Löwenberg? Wo ist die Disposition zu der Schlacht an der Katzbach? Und wo sind die zu den Schlachten von Möckern und Laon? - Kann jemand auftreten, der mir beweist, daß ich bei allen diesen für den Staat so entscheidenden Momenten bloßer ausführender General gewesen bin, so bin ich der Ehrenräuber eines anderen und erkenn mich selbst öffentlich an als unwürdig des Namens eines rechtlichen Mannes. Ohne Scheu gegen persönliche Feindschaft stemmte ich mich mit ehernem Willen im letzten Feldzug gegen so manche Dinge, die den unausbleiblichen Untergang der Armee nach sich gezogen hätten. Ohne diesen meinen unbeugsamen Willen gab es keinen 26. August, keinen 16. und also auch keinen 18. Oktober. Stellen Ew. Majestät mich heute mit einem Bataillon in eine offene Feldschanze, und ich werde sie mit derselben Entschlossenheit verteidigen, mit der ich so oft an der Spitze eines Husarendetachements in dem Feind drang; gebieten Ew. Majestät aber nicht, daß ich in einem Wirkungskreise auftrete, der öffentlich ausspricht, daß ich die Gnade und das Vertrauen meines Königs nicht mehr habe u. s. w.“
York erhielt seine Entlassung nicht. Nun erklärte er, er sei krank, und reiste ins Bad. Selbst der alte Blücher war der Ansicht, daß die Armee York nicht verlieren, nicht e n t b e h r e n könne, und es war niemand im ganzen Yorkschen Corps, der den alten Anführer nicht vermißt hätte.
York befand sich mit seiner Familie in Warmbrunn, als die traurige Nachricht einlief, sein ältester Sohn Heinrich sei am 1. Juli in dem Gefecht von Versailles gefallen. Bei den Sohrschen Husaren stehend, ward er im Handgemenge mit dem Feinde verwundet. Man forderte ihn auf, sich zu ergeben; aber er rief laut: „Ich bin ein York!“ kämpfte fort gegen die Übermacht, erhielt noch mehrere Wunden und stürzte dann ohnmächtig vom Pferde. Am 6 Juli starb er. Während der tiefgebeugte Vater auf Befehl des Königs dem durch Liegnitz reisenden Kaiser Alexander die Honneurs machte, war der Wagen mit dem Leichnam des geliebten Sohnes – denn in französischer Erde sollte er nicht modern – kurz vorher von Liegnitz weg nach Klein-Öls gefahren.
Der Tod seines Sohnes traf York schwer; „mit Heinrich,“ schrieb er an einen Freund, „ist die Freude meines Alters dahin. Ich bin ein sehr unglücklicher Vater.“ - So fühlte, so empfand der alte, ernste, eiserne York, von dem die Menschen sagten, er habe nichts lieb, nicht Weib, nicht Kind, sondern nur das Vaterland.
Jetzt erneuerte York die Bitte um seinen Abschied, den er dann auch durch eine vom 26. Dezember 1815 datierte Kabinettsordre nebst einer jährlichen Pension von 3000 Thalern erhielt.
Erst in der Mitte der fünfziger Jahre stehend, war York jetzt nichts weiter als ein wohlhabender Gutsbesitzer. Mit bitteren Empfindungen schied er aus dem Dienst. Er meinte oft, daß man Gott danke, ihn endlich los zu sein. Auch äußerte er wohl: „Da hat mich der König in die Provinz geschmissen und hat mir da ein paar Güter wie einem alten Hunde einen Knochen hingeworfen; aber ich kann noch blaffen und beißen.“
Und immer einsamer und verdrießlicher ward sein Leben. Nachdem ihm der unerbittliche Tod auch seine geliebte Tochter Bertha entrissen, war ihm von zehn Kindern nur noch ein Sohn geblieben; diesem und einem Enkel schenkte er nun seine ganze väterliche Liebe.
Als im Jahre 1821 Kleist von Nollendorf mit dem Titel „Feldmarschall“ den Abschied erhielt, glaubte man diese Auszeichnung auch York schuldig zu sein. Baron Canitz überbrachte dem alten Helden die betreffende Kabinettsordre. Est wollte York die neue Würde nicht annehmen; er habe keine Lust Feldmarschall par occasion zu sein. Endlich entschloß er sich doch zur Annahme. Als Canitz nach Berlin zurückkam und auf des Königs Frage, wie York die Sache aufgenommen habe, erwiderte, daß er sich sehr gefreut, meinte der König: „Dachte, er würde wieder brummen, ihm ist nichts recht.“
Von allen Seiten gingen jetzt dem alten Kriegshelden Glückwünsche zu, und er ward wieder einmal inne, wie hoch er noch in der Erinnerung seiner ehemaligen Kampfgenossen stand. So z.B. schrieb ihm der nun regierende Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz: „Um keinen Preis der Erde gäbe ich die Ehre hin, gerade unter Ihnen gefochten zu haben.“ Und der tapfere Brigade-Chef Prinz Wilhelm von Preußen bekannte: „daß er die Zeit seines Lebend zu der schönsten rechne, wo es ihm vergönnt gewesen, in den Soldaten des ersten Armeecorps seine Brüder, in General York seinen Waffenvater zu lieben und zu ehren.“
Der im Jahre 1828 erfolgte Tod seiner geliebten Gattin gab dem alten gebrechlichen York den letzten Stoß. Wohl lebte er noch zwei Jahre; aber diese Zeit war ein stetes Hinwelken und Kranksein. Als er dem Tod nahen fühlte, bestimmte er, wie er beerdigt werden wollte, bestellte seinen Sarg und ließ ihn an sein Bett bringen. Er litt schwer und lange; wilde Phantasieen und qualvolle Brustkrämpfe brachen seine letzte Kraft. Als er eines Mittags die geschlossenen Fensterläden öffnen ließ, und die Sonne so freundlich ins Zimmer schien, fragte er hastig seinen Sohn nach dem Tage. Als dieser ihm sagte, es sei der 3. Oktober – der Tag von Wartenburg – rief er: „Dann werde ich heute sterben!“ Und er hatte wahrgesprochen; noch ehe der neue Morgen dämmerte, schloß er die müden Augen zum ewigen Schlummer.
Seine sterbliche Hülle ruht im Grabgewölbe zu Klein-Öls an der Seite seiner Lieben. -
In betreff der Persönlichkeit Yorks liefert uns G u st a v S p r e n g e l , ein freiwilliger Jäger des Yorkschen Corps, folgende interessante Notizen: „Sein Scheitel war mit kurz verschnittenen grauen Haaren bedeckt, er hatte ein fast viereckiges Gesicht, das von der Sonne des Äquators stark gebräunt und vom Wetter gehärtet war. Eine durchaus kräftige Gestalt, mit äußerst markigen, etwas verwitterten Zügen, maß er jeden mit den großen, klugen, flammenden Adleraugen.“
Ein anderer Zeitgenosse sagt von ihm: „Der ernste strenge York machte mir einen tiefen Eindruck; mit stiller Verwunderung betrachtete ich mir den thatenreichen Mann; ganz so hatte ich ihn mir gedacht: ich glaubte ein Stück Weltgeschichte zu lesen.“ -
V o n S e l d sagte über York: „Wunderbar eigentümlich blieb bis in sein Greisenalter das Bohren seines hellen Auges; es glich einem spitzen Eiszapfen, der von der Sonne beschienen zwar glänzt und leuchtet, aber nicht wärmt. Selbst als Greis war York noch ein schöner Mann; in der Regel trug er sich gebeugt, doch konnte er sich im Affekt aufrichten, wie der Löwe zum tödlichen Sprunge. Seine Erscheinung machte den Eindruck einer mächtigen Ruine; aber der Wanderer trug Bedenken, sich unter ihrem Schatten zu lagern, aus Besorgnis, ihr Geröll könne ihn verletzen.“
Zur weiteren Charakterzeichnung Yorks mögen hier noch einige kleine Züge Platz finden.
Wie schon in einem der früheren Kapitel gesagt wurde, war es ihm ärgerlich, daß man den Prinzen Karl von Mecklenburg seinem Corps zugeteilt hatte. Er meinte, daß man ihm nur deshalb den Schwager des Königs zugesellt, damit gleich alles nach Berlin berichtet würde. York aber wollte zeigen, daß er keine Furcht habe. Als er einst bei Besichtigung der Brigade des Prinzen, nach der sorgfältigen Musterung ein Gewehr fand, dessen Schloß nicht in Ordnung war, sagte er mit lauter Stimme, den Prinzen unverwandt ansehend: „Die Herren sollte doch daran denken, daß Soldaten zum Kriege und nicht zum Spielzeug da sind. Solche Vernachlässigung der Waffe ist unverzeihlich, durch solche Unordnung und Nachlässigkeit verliert man Bataillen, und an einer verlorenen Schlacht hängt vielleicht wieder das Schicksal der Monarchie.“ Der Prinz erglühte bis an die Stirn, schwieg aber natürlich. Als York heimritt, sagte er zu seinem Adjutanten: „Da habe ich dem gnädigen Herrn mal gehörig seine Lektion gegeben. Das schreibt er nun gleich alles dem König und das will ich eben.“
Gleichfalls ist schon gelegentlich gesagt, wie York diesen tapferen Prinzen achten und lieben lernte, Nach der Schlacht bei Möckern, wo Prinz Karl beim Sturm auf das Dorf verwundet ward, rief ihm York zu: „Bisher trugen Ew. Durchlaucht den Schwarzen Adlerorden als Schwager des Königs, heute aber haben Sie ihn sich verdient!“
Ein andermal, da York bemerkte, daß die Truppen des Prinzen Wilhelm – es war kurz vor der Schlacht bei Laon – noch nicht angetreten waren, während die anderen Brigaden schon in Reih‘ und Glied standen, rief er mit scharfer Stimme: „Was, noch nicht angetreten?“ Dabei blickte er scharf auf den Prinzen, der auf einem Bärenfell saß und eine Tasse Kaffee trank. „Aber das macht, weil sich die Herren nicht von der Bärenhaut trennen können.“ Der Prinz ließ seinen Kaffee stehen und kommandierte sogleich: „An die Gewehre!“
Als York auf seinen Marsch nach dem Rhein in Wiesbaden Quartier nahm, verletzte es ihn, daß der Herzog von Nassau von ihm und seinen Soldaten fast gar keine Notiz nahm. York ließ das Residenzschloß sofort durch preußische Wachtposten besetzen, obwohl das herzogliche Militär hier schon den Dienst versah. Ein Kammerherr des Herzogs eilte zu ihm und bat im Namen seines Herrn um Zurücknahme dieser Anordnung. „Ich kenne keinen Herzog von Nassau!“ rief York zornig. - „Excellenz werden doch meinen Herrn nicht entthronen wollen?“ fragte der Kammerherr bestürzt, worauf York die trockene Antwort gab: „Bis jetzt habe ich noch keinen Befehl dazu.“
Ähnlich erging es einem jungen deutschen Fürsten, dem preußische Truppen sein Ländchen wieder erobert hatten, mit York in Paris. Der neugebackene Regent beschwerte sich, als man einst in einer glänzenden Gesellschaft längere Zeit auf Blücher warten mußte. Sofort erhob sich York und entgegnete: „Ich dächte, es ist besser, das Ew. Hoheit hier auf Blücher, als in Petersburg auf Ihre Person warten.“
Wie wir schon bei Gelegenheit der „mitgebrachten“ Altardecke aus einer böhmischen Dorfkirche ersehen konnten, war York ein Todfeind vom Plündern. Als nach dem Nachtgefecht bei Athis großer Mangel an Holz herrschte, während doch die Nacht bitterlich kalt war, und da von allen Gebäuden des Dorfes nur noch allein die Kirche stand, hatten die Grenadiere und die Leute vom Leibregiment sich erst mit den Kirchstühlen beholfen, dann aber such Latten und Sparren vom Kirchdach abgerissen und ins Biwak geschleppt. York war empört darüber. Nach der gottesdienstlichen Siegesfeier am 11. März trat er in das Carré der Hornschen Brigade und sprach: „So tapfer Ihr Euch auch wieder geschlagen, so tief hat mich Euer rohes, verwildertes Verhalten verletzt. Das Gotteshaus, das selbst die wilde Flamme unversehrt gelassen, ist durch Eure frevelnde Hand zerstört. Plündern und Zerstören ist Eure Losung; aber jene stummen Zeugen werden Euch vor Gott verklagen.“ Dann wies er auf den Stern auf seiner Brust: „Kennt Ihr den Stern? Kennt Ihr seine Umschrift? Sie bedeutet: Jedem das Seine. Das ist Preußens Wahlspruch. Habt Ihr ihn wahr gemacht? - Gebrochen habt Ihr ihn, den Stern habt Ihr befleckt, des Königs Wahlspruch zur Lüge gemacht, seinen und des Vaterlandes Namen geschändet, Euren und meinen Ruhm mit Füßen getreten. Ihr seid nicht mehr das Yorksche Corps, ich bin nicht mehr der General York; eine Räuberbande seid Ihr, und ich bin Euer Räuberhauptmann!“ -
Ähnliche und andere Geschichten von unserem braven General York giebt es noch die Menge. Wir aber lassen uns genügen und schließen das Büchlein mit einen Ausspruch König Friedrich Wilhelm III. über Yorks kühnste That, über die Konvention zu Tauroggen. „Die That des General York wird dereinst in der Geschichte um so glänzender erscheinen, wenn man sie als Gegenstück zu den zahlreichen Beispielen so vieler Staatsmänner und Befehlshaber betrachtet, welche die ihnen übertragene Gewalt mißbrauchten, indem sie nur ihre eigenen Zwecke und Ideen im Auge hatten und ihren Fürsten bloßstellten. Die Konvention bietet ein bedeutsames Beispiel, wie ein treuer Diener, durch die Umstände zu einem selbständigen Entschluß gedrängt, seinem Könige die ihm anvertrauten Truppen und seinem Vaterlande die Vorteile einer augenblicklichen Entscheidung sichern, die Nachteile der Verzögerung abwenden konnte, ohne weiter zu greifen, als ihm gebührte, indem, wenn der von ihm gethane Schritt zurückgethan werden sollte, nichts erforderlich war als ein einziges Opfer, wozu er sich selbst weihte, auch in diesem Falle wie immer bereit, seine Treue mit seinem Leben zu besiegeln, wie er sie durch sein ganzes ruhmvolles Leben vor- und nachher bewiesen hat.“
Kommentare
Kommentar veröffentlichen