Graf York von Wartenburg (12. Kapitel)
Graf York von Wartenburg [12. Kapitel]
Des Helden Leben und Thaten.
Erzählt von
L. Würdig
Glogau.
Verlag von Carl Flemming.
XII.
Laon und Paris.
Abgemattet, halb verhungert und elend kamen die Yorkschen Truppen nach einem unsäglich schweren Marsch in Rheims an und erfuhren hier, daß Napoleon, schleunigst von der Marne zurückgekehrt, sich auf den rechten Flügel der schlesischen Armee bei Etoges geworfen und diesen trotz der tapfersten Gegenwehr niedergerannt habe. Napoleons Siegesglück schien von neuem erstehen zu wollen, und voller Hochmut sagte er: „Ich bin jetzt näher an München als an Paris.“ Seine Soldaten frohlockten, das Landvolk war in Bewegung, und fast täglich wurden von den Verbündeten Bauern eingebracht, die mit den Waffen in der Hand aufgefangen waren.
Schon am 15. Februar brach das Yorksche Corps wieder auf und ging nach Chalons, wo es sich mit Sacken und Kleist vereinigte.
Napoleon im Wahn, die schlesische Armee vernichtet zu haben, wandte sich jetzt gegen Schwarzenberg, wo er ein noch viel leichteres Spiel zu haben hoffte. Blücher aber war der Mann nicht, nach einem einzigen Schlage den Kopf zu verlieren, und das schlesische Heer besaß Ausdauer und Zähigkeit.
Mit 53 000 Mann und 300 Kanonen brach Blücher am 18. Februar von Chalons auf, um sich in Mery mit dem Hauptheer zu vereinigen und dem Feinde die Entscheidungsschlacht zu liefern. Aber die Dinge kamen anders. Wohl war die schlesische Armee am 21. an dem bestimmten Ort, und Yorks ostpreußische Füsiliere nahmen die von den Franzosen besetzte Stadt, wo sie sicher auf Hilfe rechneten; aber Schwarzenbergs blieb unthätig stehen, ja unterhandelte mit Napoleon wegen eines Waffenstillstandes. Da ward Blücher äußerst zornig und wild, und als er gar auf Schwarzenbergs
Befehl umkehren und mit seinem Heere zurückgehen sollte, entschloß er sich kurz, nicht zu folgen. Sein Plan, sich von der großen Armee zu trennen, den Kampf gegen „Bonaparte“ allein aufzunehmen und sobald als möglich auf Paris vorzudringen, erhielt die Billigung seines Königs und des Kaisers Alexander. Da bereits das Corps des russischen Generals Winzingerode der schlesischen Armee zugewiesen war und nun auch das über Holland bis Laon vorgerückte starke und wohlausgerüstete Corps des Generals Bülow unter Blüchers Befehl gestellt werden sollte, getraute sich der alte Marschall Vorwärts recht gut, mit diesem über 100 000 Mann zählenden Heer, Napoleon bald die Spitze zu bieten.
Zunächst galt es, den mit 8000 Mann bei Sezanne stehenden Marschall Marmont über den Haufen zu werfen. Aber dieser hatte Nachricht von dem Plan, ging über die Marne zurück und vereinigte sich hier mit Mortier. York und Sacken, die den Befehl erhielten, gleichfalls die Marne zu überschreiten, wurden dabei in ein blutiges Gefecht verwickelt und mußten schließlich mit schweren Verlusten wieder zurück.
Mit 60 000 Mann drängte Napoleon den Helden Blücher auch über das Flüßschen Aisne, bis endlich der Alte, des ewigen Hin- und Herschiebens müde, nach der stattgefundenen Vereinigung mit Bülow, Stellung bei Laon nahm, um endlich eine Entscheidung herbeizuführen. Nachdem Napoleon schon am 8. März die Russen bei Craonne schwer gedrängt hatte, kam es am anderen Tage zu der für die Verbündeten so siegreichen Schlacht von Laon, in der wieder das Yorksche Corps die Hauptarbeit übernahm und den Sieg herbeiführte. Es stand auf dem linken Flügel, und hier bei dem Dorfe Athis wollte Napoleons Marschall Marmont, derselbe, den York bei Möckern so blutig heimgeschickt hatte und dem er in Frankreich selbst schon so oft auf den Fersen gewesen war, durchbrechen. Aber es gelang ihm nicht, so sehr er auch das Dorf mit Granaten beschoß, den Major Stockhausen hinauswarf und mit seinen schweren Geschützen den ganzen Tag über das heftigste Feuer gegen die preußische Stellung richtete. Marmont zog gegen Abend immer mehr Truppen heran, mit jedem Augenblick erwartete man den Feind zu Sturm. Aber er unternahm nichts; es schien, als habe er nur den Punkt gewinnen wollen, von wo aus er am andern Tage die Preußen um so sicherer verderben wollte. Da mußte aufgepaßt und vorgebaut werden. Ein Offizier aus Yorks Gefolge, Ferdinand von Schack ist sein Name, kam auf den Gedanken, während der Nacht die Franzosen zu überfallen. Ein jeder ärgerte sich, diesen so natürlichen Einfall nicht selbst gehabt zu haben. So kam der Vorschlag auch zu Yorks Ohren, der ihn als sich von selbst verstehend billigte.
Sofort wurden die nötigen Anordnungen getroffen und ein Adjutant an Blücher geschickt, um dessen Einwilligung zu holen. Blücher war gleichfalls damit einverstanden, nur Sacken, der Yorks Reserve bei dem Unternehmen bilden sollte, war anderer Ansicht und sagte geradezu „nein.“ - „Dann wird es auch ohne ihn gehen,“ sprach York, und sofort gab er mündlich mit größter Klarheit und Kürze die Disposition zum Angriff.
Prinz Wilhelm mit seiner Brigade sollte Athis angreifen, Horn rechts neben Athis vorgehen, Kleists Corps von der Chaussee aus des Feindes linke Flanke gewinnen und Zieten dem Feinde in den Rücken fallen. York schloß: „Das Vorrücken geschieht in geschlossenen Kolonnen und mit lautloser Stille, bis man an den Feind kommt. Es fällt kein Schuß, es wird nur mit dem Bajonett angegriffen. Die Parole heißt <<Gott,>> die Losung <<Friedrich.>>“
Schlag neun Uhr wurde aufgebrochen. Prinz Wilhelm traf zuerst auf den Feind und warf ihn über den Haufen. Als die Feinde sich von neuem sammelten und von der Anhöhe hinter dem Dorfe die Preußen beschossen, attackierten sie die ostpreußischen Füsiliere zum zweitenmal. Unter dem Klange der preußischen Flügelhörner und im Sturmschritt aller Bataillone wurden sie überrannt und mußten die Flucht ergreifen.
Mittlerweile war auch Horns Brigade, York zur Seite des tapferen Führers, auf der Chaussee vorgegangen. Ohne auch nur auf einen einzigen Posten zu stoßen, kam man den feindlichen Batterieen ganz nahe. „Da stehen Kanonen!“ sagte Horn. „Ich sehe sie wohl,“ entgegnete York. „Darf ich sie nehmen?“ fragte jener. „In Gottes Namen drauf!“ lautete Yorks Antwort.
Mit fröhlichem Hurra ging‘s vor. Die Geschütze feuerten nur einmal, was stürzte, das stürzte, und dann waren sie erobert. Ebenso glücklich war Kleist, nicht minder Zieten mit der Kavallerie. Hier war es der ritterliche Jürgaß, der mit dem Rufe: „Drauf, alte Litauer, drauf und alles nieder!“ ganze Geschwader französischer Kürassiere umritt, die Artilleristen neben den Kanonen niederhieb, einer fliehenden Kanone zuvorkam und ihr den Weg verlegte. Alles, was den erzürnten Litauern entgegenkam, wurde gefangen genommen oder niedergestochen. Da man in der finstern Nacht nicht sehen konnte, was Freund oder Feind war, erkannte man sich an dem alten Rufe: „Heurich, Heurich!“ Unaufhaltsam im Vordringen, wurden die Bataillone durch das Schlagen aller Tambours und die Signale der Hornisten stets zusammen- und das Ganze in Verbindung gehalten.
Es war ein wundervoller Sieg. Marmonts Corps war in völliger Auflösung; es hatte fast seine ganze Artillerie und 4000 Mann verloren. Als Yorks Adjutant, Major von Röder, mit der Siegesnachricht zu Blücher eilte, der nicht minder am 19. März Napoleon fassen und abschütteln sollte, worauf der lügenhafte kaiserliche Bericht erschien: er habe die Höhen von Laon uneinnehmbar gefunden, - lag der Feldmarschall schon im Bett. „Bei Gott,“ sagte er zu Röder, „Ihr Yorkschen seid brave, ehrliche Kerls, wenn man sich auf Euch nicht mehr verlassen könnt, fiele der Himmel ein.“ -
Anstatt aber jetzt den geschlagenen, über den Fluß Aisne zurückweichenden Napoleon mit allen Kräften zu verfolgen, blieben die Preußen und Russen ruhig bei Laon stehen, zehrten die Landschaft aus und litten bald wieder großen Mangel an allem, was den Feldsoldaten nötig ist. Überdies war Blücher augenkrank, und Gneisenau führte den Oberbefehl. Gneisenau aber war, wie York behauptete, ein Feind von ihm, der ihn um seinen Ruhm beneide, und Müffling wieder, der zweite Generalstabs-Chef, war kein sonderlicher Freund von Gneisenau. Überdies klagten die russischen Führer, - obwohl ganz ohne Grund – daß sie mehr Strapazen aushalten müßten als die Preußen, und was dergleichen Reden und Mißstimmungen untereinander noch mehr waren. Es stand also sehr übel um die Einigkeit in dem Heere, und bald sollte die Bombe platzen.
York erhielt aus dem Hauptquartier den Befehl, von seiner sehr geschmolzenen Kavallerie hundert Pferde zur Eskortierung nach den Niederlanden abzugeben. Bitter und schwarzgallig wie seine Natur an und für sich schon war, wollte er über einen solchen ungerechten Befehl ganz aus der Haut fahren und entschloß sich kurz, sogleich die Armee zu verlassen. Schon in der nächsten halben Stunde saß er in seinem Wagen und rollte dahin auf der Straße nach Brüssel. Alles war über diese Abreise des Feldherrn bestürzt. Man meldete es sogleich Blücher, und dieser, nicht mindern betroffen darüber und wohl erkennend, daß mit Yorks Zurücktritt seinem tapferen Corps die Seele fehle, schrieb unter heftigen Schmerzen mit großen Buchstaben einen Brief an ihn, der also lautete: „Mein alter Kamerad, so etwas darf die Geschichte von uns nicht erzählen, seid vernünftig und kommt zurück.“ -
Auch Prinz Wilhelm schrieb an York und beschwor ihn, als sein Mitbürger, als sein Unterfeldherr, als Enkel, Sohn und Bruder seiner Könige, das Kommando nicht niederzulegen.
So entschloß sich York, wieder umzukehren und das Kommando von neuem zu übernehmen.
Und bald war alles wieder gut. Schwarzenbergs Sieg an der Aube war für Blücher das Zeichen zum Aufbruch nach Paris. Schon den 18. März besetzte Yorks und Kleists Avantgarde Bery au bac, am 28. schlug Blüchers Hauptheer die Marschälle Marmont und Mortier bei Fère Champenoise, und den 30. März standen die verbündeten Armeen vor Paris.
Erwähnt sei hier noch, daß am 29. März bei Ankunft des Königs Friedrich Wilhelm III. das Yorksche Corps zur Seite der Straße von Claye, unfern von Paris, in Parade stand. Mit lautem Hurra begrüßten die nach einem solchen Feldzug eben nicht parademäßig aussehenden Brigaden den geliebten Landesvater. Als aber York an den König herantritt, um ihm das brave Corps zu präsentieren, ward des Königs strenges Auge durch den Anblick der Truppen beleidigt, und er äußerte: „Sehen schlecht aus, schmutzige Leute!“ worauf York sofort zu den Truppen gewandt <<Kehrt!>> und <<Marsch!>> kommandierte.
Doch zur Schlacht vor Paris. Da weder die versuchten Verhandlungen mit dem französischen Kriegsministerium, noch die am 29. März erlassene, so begütigende und schmeichelhafte Proklamation an die <<Einwohner von Paris>> die geringste Wirkung gehabt hatte, so blieb nichts übrig, als die Waffen entscheiden zu lassen.Nachdem schon um 6 Uhr früh das Corps des Kronprinzen von Württemberg und die Russen bei Partin und Romainville den Kampf eröffnet hatten, erhielt auch York Befehl, mit seinem und dem Kleistschen Corps gegen La Vilette und La Chapelle zu rücken und von hier aus den Montmartre anzugreifen.
Heldenkühn fochten die preußischen Garden, schon waren sie bis an die Häuser vor der Barriere Partin gedrungen, mußten aber nun, von einer Zwölfpfünder-Batterie beschossen, mit großen Verlust zurückgehen. Dies merkend, ließ York eiligst eine Haubitz-Batterie auffahren, die ein furchtbar wirkungsvolles Feuer gegen die Feinde eröffnete, so daß diese für den Augenblick zurückeilten. Da aber stürzte der Feind aus La Vilette und gegen Pantin zugleich zum Angriff vor. Die französische Garde warf im ersten Anprall die preußische, und die Haubitz-Batterie war in Gefahr, von zwei Chasseur-Regimentern genommen zu werden. York hielt bei den Brandenburgern und schwarzen Husaren, den wütenden Kampf mit scharfem Blick überschauend. „Die Batterie dürfen wir nicht im Stich lassen!“ rief er, und sofort trabten die Totenköpfe vor, das Signal „Marsch! Marsch!“ mit jauchzendem Hurra von den Truppen aufgenommen, und todesmutig ging es zum Sturm gegen das letzte Bollwerk des Feindes, gegen den Montmartre. Und überall belebte sich durch diese kühne Attacke der Yorkschen Truppen das Gefecht, fort und fort rasselten die Trommeln den Sturmschritt, bliesen die Hornisten das Signal „Avancieren.“
Russische Jäger drangen auf La Vilette los, während Prinz Wilhelm schon in der Mitte des Dorfes stand und sich links wandte, um die kaum noch tausend Schritt entfernte Barriere zu erstürmen. Und keiner bleibt zurück: Horn nimmt Chapeööe, Kleist erstürmt mit dem Bajonett die Kuppe der „fünf Mühlen,“ ud Langeron dringt mit seinen Russen rechts gegen den Montmartre vor. - Nun erst entschloß sich Paris, zu kapitulieren. Heransprengende Adjutanten mit wehenden weißen Tüchern an der Degenspitze überbrachten die Botschaft des Waffenstillstandes; sie wurde als volles Zeugnis des Sieges mit einem nicht enden wollenden Hurra begrüßt.
Dennoch ließ Blücher – für alle Fälle – den Montmartre mit vierundachtzig schweren Geschützen besetzen. Für unseren York und sein Corps aber hatte der 30. März 1814 den höchsten Lohn gebracht. Das kühne Wagnis, das auf der Mühle bei Tauroggen begonnen, war nun sieggekrönt, wundervoll zu Ende geführt.
Schon am anderen Tage, am Tage des Einzuges der Monarchen in Paris verlieh der König dem General York das Großkreuz des eisernen Kreuzes.
York blieb nicht lange in Paris, sondern begab sich bald zu seinen tapferen Truppen, die in den nördlichen Departements Kantonnierung bezogen hatten. Anfang Mai rückte er mit seinem Corps nach Belgien, wo ihm der Oberbefehl über das Kleistsche und Bülowsche Corps übertragen ward, und durch eine vom 3. Juni 1814 datierte Kabinetts-Ordre wurden er und seine Nachkommen in den Grafenstand unter Beilegung des unsterblichen Ehrennamens „York von Wartenburg“ erhoben.
Nach der Rückkehr des Königs aus London, wohin ihn auch York begleitet hatte, wurde er zum kommandierenden General der Provinz Schlesien ernannt und ihm die Domäne Klein-Öls nebst einigen anderen Gütern, zusammen vielleicht 20 000 Thaler an Wert, überwiesen.
Yorks Abschied von seinen Offizieren war ergreifend; aus dem schriftlichen Abschied von seinem tapferen Corps mögen hier einige Stellen Platz finden. Sie lauteten:
„Im Begriff, zu meiner neuen Bestimmung abzugehen, darf ich nicht länger mehr zögern, Euch, meine braven Soldaten des ersten Corps, das letzte Lebewohl zu sagen. Mit schweren Herzen erfülle ich diese Pflicht; mit schmerzlicher Rührung trenne ich mich von meinem Corps, das in drei blutigen Feldzügen so heldenmütig focht. Es war ein Teil des ersten Corps, welches in Kurland der preußischen Armee ein Beispiel des Gehorsams, der Tapferkeit und des Edelmutes gab. Ihr waret die ersten, die bei Dannigkow den Rücken des geschlagenen Feindes sahen. Die Tage von Groß-Görschen und Königswartha werden Euch zum ewigen Ruhm gereichen. An der Katzbach gabt Ihr das Signal zu aufeinanderfolgenden Siegen, die das Vaterland befreiten, und Eurer bei Wartenburg bewiesenen Tapferkeit verdanke ich den Namen, den ich zur Ehre des ersten Corps durch die Gnade Sr. Majestät forthin führen soll. Die Völkerschlacht bei Leipzig ward durch Euch siegreich eröffnet. Aber nicht Deutschland allein, auch Frankreich ist Zeuge Eurer kriegerischen Thaten gewesen: In den Gefechten von St. Dizier und La Chaussée, bei Laon und Paris habt Ihr das Werk begonnen, ruhmvoll habt Ihr es beendigt. Ich danke, ich danke Euch als Euer bisheriger Führer, - als Euer Vater und Freund! So lebt denn wohl, Ihr Gefährten dreijähriger Kämpfe und Anstrengungen. Vergeßt Euren General nicht, der Euch liebt und ehrt; und nehmt mich freundlich wieder auf, wenn das Vaterland wieder eines Yorkschen Corps bedürfen sollte.“
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