Graf York von Wartenburg (11. Kapitel)
Graf York von Wartenburg [11. Kapitel]
Des Helden Leben und Thaten.
Erzählt von
L. Würdig
Glogau.
Verlag von Carl Flemming.
XI.
Die Gefechte jenseits des Rheins und das Treffen bei Montmirail.
In drei Kolonnen, bei Koblenz, Kaub und Mannheim, ging die 75 000 Mann starke schlesische Armee unter Blüchers Oberbefehl in der Neujahrsnacht 1814 über den Rhein. Zweihundert Füsiliere von der Brigade Hünerbein des Yorkschen Corps waren bei Kaub die ersten in den Kähnen. Während Blücher mit dem Gros der Armee seinen Marsch auf Metz und Nancy nahm, hatte York den Befehl, gegen die Saar vorzudringen und General Marmont abzuschneiden. Doch der Franzose hatte große Eile; trotz aller angestrengten Märsche der Preußen gelang es ihm zu entkommen. Als York am 10. Januar die Saar überschritt, befand sich Marmont schon hinter der Mosel. An der Mosel selbst erhielt York den Befehl Blüchers, die Festungen Metz, Thionville, Luxemburg und Saarlouis einzuschließen, indessen der alte Feldmarschall mit nur 27 000 Mann jenen geschickten Zug durch drei feindliche Corps machte und am 27. Januar bei Brienne stand.
Unserem York war der Auftrag nicht recht; denn erstens waren die französischen Moselfestungen sehr fest, und zweitens fehlte es den Preußen hinlänglichem Belagerungsgeschütz. Ein versuch Sturm auf Saarlouis blieb ohne allen Erfolg. Unter solchen Umständen war die Stellung des Yorkschen Corps keine angenehme. Schon seit acht Tagen war es außer unmittelbarer Verbindung mit dem Blücherschen Hauptquartier, und die Zusammenziehung der französischen Corps nach Chalons an der Marne machte die Trennung um so bedenklicher. Endlich am 25. Januar kam Blüchers Befehl an York, sofort aufzubrechen und den 28. in St. Dizier zu sein. Eine schwere Aufgabe für das Corps, das von den zwanzigtausend Mann, die über den Rhein gegangen waren, schon mehr als den vierten Teil durch Krankheiten eingebüßt hatte.
In zwei Kolonnen, rechts die Avantgarde unter Prinz Wilhelm, links die drei anderen Brigaden, trat man den Marsch an. Bei St. Dizier traf man auf den Feind. Unerschrocken griff ihn York an, warf ihn erst aus der Vorstadt, dann aus der Stadt selbst und zwang sogar einen Teil der feindlichen Kavallerie, eilends durch die Marne zu gehen.
Indem York seine Avantgarde nach Vitry sandte, um diese Stadt vor Macdonalds Eintreffen zu besetzen, stieß er selbst mit den anderen Truppen bei la Chaussèe auf den Feind. Es war wirklich Macdonald, der hier durchbrechen und sich mit Napoleon vereinigen wollte.
Kurz vorher war die Nachricht von Blüchers Sieg bei La Rothière (1. Februar) eingetroffen, jeder befand sich in einer gehobenen Stimmung. Noch waren nicht alle Truppen des Corps heran, trotzdem aber, um den heranrückenden Feind nicht die Höhe bei dem Dorfe La Chaussèe gewinnen zu lassen, wurde der Angriff befohlen. Es war das erste bedeutende und äußerst glückliche Gefecht des Yorkschen Corps in Frankreich. Ein Mitkämpfer schildert es folgendermaßen: „Als wir aufmarschiert waren, wurde Fanfare geblasen. Im Galopp erreichten wir, vier Schwadronen Husaren und zwei des brandenburgischen Ulanenregiments, den Rücken des Berges. Nun sahen wir dicht vor uns den Feind: zwei Kürassier-Regimenter und ein Chasseur-Regiment in seiner Mitte, rechts hinter diesen eine noch nicht schußfertige Batterie. Nach dem Kommando: Gewehr auf! fielen wir wie eine Windsbraut über die Franzosen her. Erst auf sechs Schritt Entfernung wurde von beiden Seiten Feuer gegeben. Doch die Franzosen hielten mutig stand, und die Kürassiere lagen mit ihren langen Pallaschen in Stichparade so ruhig wie auf dem Fechtboden. Aber weichen mußten sie, und hätten wir sie mit den Zähnen herunterreißen sollen. Kräftige Säbelhiebe in die Gesichter warfen sie in die Flucht, und einen anderen Teil der Kürassiere jagten unsere wackeren Jäger vor sich her.“
Graf Henckel, der von Aulnay dies Gefecht, das <<wie auf dem Exerzierplatz>> ausgeführt wurde, mit angesehen hatte, warf sich jetzt unter dem Jubelruf der Seinen: <<Heurich! Heurich!>>
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Der Zuruf „Heurich“ war bei dem Yorkschen Corps gang und gäbe und sollte aus dem Jahre 1810 stammen, wo ein Chirurg dieses Namens, der gern trank und dan zuzeiten vom Pferde fiel, bei den schwarzen Husaren stand. Aus der Neckerei wurde allmählich ein fröhlicher Gruß und Zuruf, und so blieb das Wort im Corps, bedeutete bald: „Helft, helft!“ - bald: „Ihr seid die Bravsten!“ - bald: „Glück auf!“ oder wie es sonst eben die Umstände verstehen ließen. Da die Franzosen das Wort nicht nachzusprechen vermochten, ward „Heurich“ das Feldgeschrei, an welchem sich die Kameraden des Yorkschen Corps den ganzen Krieg hindurch erkannten.
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auf die polnischen Ulanen und schlug sie ebenfalls in die Flucht, während Jürgaß mit seinen Litauern die Fliehenden in der Flanke faßte und bis über das Dorf hinaus verfolgte. Erst in Chalons setzte sich der Feind von neuem fest. Aber York ließ seine Zwölfpfünder und acht Haubitzen vom Windmühlenberge Feuer auf Chalons geben, während Katzeler mit seinen Füsilieren die Vorstadt St. Memmin in sieghaftem Vorgehen attackierte, dann wieder zurückgedrängt ward und schließlich am Ende derselben sich in einem großen Gehöft mit Garten behauptete.
York mit seinem Generalstab befand sich während des Bombardements in einem Bauernhause unweit des Windmühlenberges, und schon hatten die preußischen Granaten an verschiedenen Stellen in Chalons gezündet. Auch von St. Memmin her hörte man das Gewehrfeuer der Katzlerschen; aber es wurde matter und matter. Die Bataillone dort mochten von der zweitägigen Anstrengung erschöpft sein. Da kam Yorks Reitknecht, der nach St. Memmin geschickt war, um etwas Wein zu holen, ohne Wein aber stark taumelnd zurück. „Alles tot, Excellenz, alles tot!“ lallte er mit schwerer Zunge. Sofort warf sich einer der Offiziere aufs Pferd, um nachzusehen, was das bedeuten könne. Und was fand er? Die braven Füsiliere hatten einige Champagnerkeller entdeckt, hatten in dem trefflichen Weißbier – dafür tranken sie es – ihren Durst reichlich gelöscht und lagen nun alle trunken zu Boden.
Als York diesen Bericht empfing, war der Befehl: „Eine nüchterne Brigade zur Ablösung das vor allem Nötige.“
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So schmerzhaft die Champagnergeschichte den meisten erschien, so ernst nahm sie York. Am andern Morgen ließ es die betreffenden Bataillone zusammentreten und sprach: „Ihr besauft Euch, Ihr wälzt Euch am Boden, Ihr verlaßt König und Vaterland! Ihr sollt bestraft werden; jedem zehnten Mann eine Kugel vor den Kopf!“ Da trat ein alter Füsilier vor und sagte: „Halten zu Gnaden, Excellenz! Wir haben zwei Tage lang gehungert und wollten uns erfrischen. Es schmeckte gut, es wurde zu viel, wir sanken um. Aber decimieren Sie uns nicht, schicken Sie uns lieber das nächste Mal gegen eine Batterie.“ York sah den Alten eine Weile an und sagte: „Und wenn Ihr die Batterie nicht nehmt?“ - „Dann hole uns alle der Teufel!“ York lächelte, sprengte davon, und die Sache war abgemacht.
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Mittlerweile hatten Yorks Kanonen eine arge Verwüstung in Chalons angerichtet. Aus diesem Grunde und da Macdonald bereits Nachricht hatte, daß auch Vitry in die Hände der Preußen gefallen, kapitulierte er und räumte die Stadt, wobei er, zur Sicherung seines Rückzuges, die Marnebrücke sprengte. Aber schon den 6. Februar war durch Yorks rastlosen Eifer die Verbindung wieder hergestellt, und noch an demselben Tage wurde die Marne überschritten.
Bis zum 8. Februar waren die Preußen dem fliehenden Marschall auf den Fersen, mußten aber am 9. einen Ruhetag halten, da die Truppen sich äußerst erschöpft fühlten, und die Pferde lahm, abgezehrt und fast alle ohne Eisen waren. Und eben jetzt sollte sich die ganze Lage des Krieges auf eine unvermutete und höchst bedrohliche Weise wenden.
Da die Hauptarmee unter Schwarzenberg noch immer ziemlich unthätig hinter der schlesischen stand und sich eher mit Friedens- als Kriegsgedanken beschäftigte, benutzte Napoleon mit staunenswerter Kühnheit die Umstände. Während er 30 000 Mann an der Seine zurückließ, brach er mit 40 000 Mann nach Sezanne auf, um den Feldmarschall Blücher auf dem direkten Wege nach Paris zu überfallen.
Die schlesische Armee stand den 9. Februar völlig zerstreut: Der russische General Olsufieff in Champ-Aubert; eine halbe Meile zurück, in Etoges Blücher; zwei Meilen weiter, in Vertus Kleist, Sacken drei Meilen vorwärts, in Montmirail, seine Vorhut vor der Stadt L Ferté, die Macdonald besetzt hielt, und York in Dormans und Chateau-Thierry, drei Meilen von La Ferté und von Montmirail.
Auf Olsufieff in Champ-Aubert stürzte sich Napoleon zuerst. Obgleich Blücher diesen Überfall nicht vermutet hatte, legte er ihm keine große Bedeutung bei. Das Hauptquartier ging nach Vertus zurück, und von allem erhielt York den Befehl, Marmont laufen zu lassen und dafür dem General Sacken zu Hilfe zu eilen.
York übersah mit scharfen Blick die nichts weniger als beruhigende Sachlage. Chateau-Thierry zu halten und die dortige Marnebrücke zum etwaigen Rückzuge zu sichern, mußte Prinz Wilhelm mit der achten Brigade hier stehen bleiben, während York mit dem Hauptcorps nach Viffort ging und die Avantgarde nach Montmirail sandte. - Schon auf dem Wege dahin erfuhr York die Gefahr, in der Sackens Corps schwebte. Dem Waffengefährten Hilfe zu bringen, war er entschlossen, das Äußerste zu wagen. Sofort brach er mit Pirchs Brigade und zwölf Geschützen nach Fontenelles auf, wo Sacken im ärgsten Feuer stand; Horns Brigade folgte. Der Hauptkampf drehte sich um das Dorf Marchais, welches die Franzosen den Russen entreißen wollten. Es gelang ihnen nach blutigen Stürmen, und ebenso warfen sie die Russen aus Bailly. In dem Augenblick, als der rechte Flügel Sackens in Gefahr stand, von der Chaussee abgedrängt und in die Moräste zur Seite der Straße geworfen zu werden, gab York das Zeichen zum Angriff. Mit Hurra gingen die preußischen Bataillone (Grenadiere) vor und warfen alles vor sich nieder, wurden aber dann, kaum hundert Schritt vor Bailly, so heftig mit Kartätschen beschossen, daß sie stutzten und zurückgingen. Dies benutzend, brach der Feind in Masse aus dem Dorfe hervor und drängte stark nach. Da aber eilten die ost- und westpreußischen Grenadiere und die Landwehrbataillone Mumm und Seydlitz den bedrohten Brüdern zu Hilfe, fällten das Gewehr, warfen den Feind wieder ins Dorf zurück und deckten heldenmütig den Rückzug der Grenadiere.
Allein von Les Tourneux her, wo Horn kämpfte warf der Feind immer mehr und mehr Truppen ins Gefecht und drohte, die erste Brigade bei Fontenelles abzuschneiden. Hier war alles zu befürchten, denn gelang es dem Feinde, an diesem Punkte durchzubrechen, dann waren Yorks und Sackens Corps unrettbar verloren. Daher eilte York mit allen entbehrlichen Truppen hierher. Aber auch der Feind erkannte die Wichtigkeit dieses Punktes und führte gegen 20 000 Mann ins Feuer, denen York nicht halbsoviel entgegenstellen konnte. Überdies war Napoleon selbst bei den Seinen, man sah ihn hin und her sprengen, den Angriff und Kampf ordnen und alle anfeuern, um den letzten gewaltigen Schlag zu thun. - Einem wilden Bergstrome gleich stürzen die Feinde unter dem Rufe vive l`Empereur! Aus dem Gehölz bei les Tourneux auf die Unseren, die sie unerschrocken, die Wichtigkeit des Kampfes erkennend, empfangen. Lange schwankt die Entscheidung. York hält im dichtesten Kugelregen; er würde den Tod gesucht haben, wenn die Seinen erlegen wären. Die Sache stand für diese Tapferen recht schlimm, da Napoleon, der alle seine Kräfte auf diesen Punkt vereint, sie furchtbar bedrängt, fest entschlossen den Sieg zu erringen.
Aber die Yorkschen wanken nicht, ihre stark gelichteten Reihen schließen sich immer von neuem wieder, bis dann endlich die schlesischen Grenadiere und die Landwehrmänner des Bataillons Rekowski mit dem Bajonett seitwärts auf das Gehölz vorgehen, den nachrückenden Bataillonen Bahn brechen, die Stellung des Feindes erschüttern und dann bei einbrechender Dunkelheit Gehölz und Dorf nehmen und behaupten.
Während bei les Tourneux die Preußen so überaus tapfer fochten, bekam Sacken Luft und zog ab, um bei Chatteau-Thierry über die Marne zurückzugehen.
So hatte York recht eigentlich das Sackensche Corps gerettet, obwohl mit schwerem Verlust; denn die erste Brigade allein mußte einunddreißig Offiziere und über achthundert Mann auf dem Schlachtfelde lassen.
Am anderen Morgen drängte der Feind die abziehenden Bataillone heftig von neuem. Als York in der Nähe des Marneüberganges auf Sacken stieß, waren auch schon die Franzosen da, um ihnen den Rückzug zu erschweren, wenn nicht ganz unmöglich zu machen.
Eine große feindliche Reitermasse von mehr als viertausend Pferden, welche Napoleon selbst leitete, warf sich in mächtigen Anprall auf die preußische und brachte sie zum Weichen. Da waren es die Litauer Dragoner unter Major von Platen, die den Bedrängten zu Hilfe eilten. Mit dem Signal <<Fanfare,>> unerschüttert durch eine ihnen entgegenprasselnde Karabinersalve, stürzten sie sich auf den Feind. Er stutzte, wankte und ward überwältigt; grimmig hieben die litauischen Eisen auf die polierten Pariser Helme. Doch der Feind zieht neue Geschwader heran, Platen wird verwundet, gefangen und die preußische Kavallerie völlig geworfen. So ist das ganze Plateau in den Händen der Feinde und der heranziehende General Horn mit zwei Brigaden in den Rücken genommen und abgeschnitten. Aber Sohr giebt die Tapferen nicht auf, sondern sammelt seine Husaren am Ausgange eines Hohlweges, der vom Plateau in das Marnethal führt, um den Brüdern im Augenblick der Gefahr nahe zu sein. Der tapfere Horn beschließt, sich durchzuschlagen. Seinen rechten Flügel bedrängte der Feind unaufhörlich, so stark er konnte, in der Hoffnung, bald einbrechen zu können. Aber Horns Füsiliere hielten tapfer stand und attackierten die Dränger mit gefälltem Bajonett. Als Horn endlich den Hohlweg erreicht, erfährt er, daß dieser schon von feindlichen Dragonern gesperrt ist. Und wieder mußte mit dem Bajonett gekämpft werden, bis auch hier der Feind zurückgedrängt war. Aber atemlos wie sie waren, wären sie doch verloren gewesen, wenn die brandenburgischen Husaren sie jetzt nicht aufgenommen hätten. Dem lauten Ruf der Bedrängten: <<Heurich! Heurich!>> was jetzt soviel bedeuten sollte als <<Helft! Helft!>> antwortete Sohr: „Nur Mut, Füsiliere, die Husaren verlassen Euch nicht! Wir wollen den Kerlen doch zeigen, daß wir Preußen sind!“ - Sofort warf er sich auf die durch den Hohlweg etwas aus der Ordnung geratenen französischen Kürassiere, wodurch Horn Zeit gewann, die Füsiliere zu sammeln, wieder Vierecke zu formieren und nun auch seinerseits den Feind aufs Korn zu nehmen. Sobald die Bataillonssalve den Feind erschüttert hatte, hieben die Husaren mit ihren Pallaschen auf ihn ein und sicherten dadurch den Rückzug der Vierecke auf einige Schritte. Viermal wiederholte der Feind seinen Angriff, viermal ward er zurückgeworfen. Da endlich drangen die Feinde in Horns Flanke. In dieser Gefahr völliger Vernichtung stürzte sich alles der großen Straße zu, um sich an die geordneten Vierecke anzuschließen. „Feuert nicht mehr!“ rief Horn den Füsilieren zu, und so wiesen wieder die preußischen Bajonette und die Husaren die immer noch anwachsende Feindesmenge zurück.
Als Horn mit den sehr gelichteten Brigaden und den Husaren endlich die Marnebrücke erreichte, rief York: „Ihr Husaren sei immer am rechten Fleck, und daß meine braven Füsiliere die französische Kavallerie nicht fürchten, wußte ich längst, heute aber habt Ihr sie mit dem Bajonett verjagt; der König soll die Heurichs kennen lernen.“ -
Mit einem Verlust von 1300 Mann überschritt das Yorksche Corps die Marne, um auf Blüchers Befehl gen Rheims zu ziehen. Noch in derselben Nacht kam Platen wieder angesprengt. Er war den beiden französischen Chauffeurs, die ihn wegführen sollten, dadurch entwischt, daß er ihnen seinen Mantel, an dessen Ärmeln sie ihn gefaßt hatten, überließ. Dann war er trotz seiner Wunde durch die Marne geschwommen und meldete sich nun durchnäßt und blutbedeckt wieder zum Dienst.
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