Graf York von Wartenburg (10. Kapitel)

 


Graf York von Wartenburg [10. Kapitel]


Des Helden Leben und Thaten.


Erzählt von

L. Würdig


Glogau.


Verlag von Carl Flemming.


X.


Die Schlacht bei Möckern und der Marsch an den Rhein.


Im Schlosse zu Düben, woselbst Napoleon, der am 8. Oktober von Dresden abgereist war, einige Tage unentschlossen zugebracht hatte, schwankend, ob er noch einmal den Krieg in die Mark Brandenburg tragen oder den Entscheidungskampf gegen die von allen Seiten heranrückenden Heere der Verbündeten bei Leipzig wagen sollte, hatte er sich endlich für den letzteren Plan entschieden.

Das schlesische Heer, das in der Gegend des anhaltischen Städtchens Jeßnitz über die Mulde gegangen war, dann einige Ruhetage in Halle gehabt hatte, brach am 15. Oktober von dort auf. Nach einer großen Rekognoszierung der Kavallerie sämtlicher Corps, infolge deren man den Feind zwischen Lindenthal und Wahren gewahrte, wurde die Schlacht beschlossen. Es war der sechste französische Heerhaufen, der über Leipzig nach Wachau marschieren wollte, um sich dort mit dem Gros der Armee zu vereinigen. Gelang ihm dies, dann war vielleicht die böhmische Armee rettungslos verloren. Da galt es, den Feind zum Stehen zu bringen und zu schlagen.

Weil Blücher die Hauptstärke des Feindes zwischen Freienroda und Radefeld vermutete, erhielt Langeron Befehl, diese zwei Dörfer anzugreifen; Sacken bildete seine Reserve, und York sollte sich mit seinen 21 000 Mann starken Corps bei Lütschena links zum Angriff auf Lindenthal wenden. York war in Schkeuditz und hatte seine Offiziere zu einem warmen Frühstück bei sich vereinigt. Die Pferde standen gesattelt vor der Thür. Da trat Graf Brandenburg herein und brachte Blüchers Befehle. York erhob sich, sein Glas in der Hand, sagte sein Lieblingssprüchlein: „Anfang, Mittel und Ende Herr Gott zum besten wende,“ leerte das Glas und setze es still hin. Jeder der Offiziere that ein Gleiches. Es herrschte eine gehobene, feierliche Stimmung im Kreise, jeder einzelne fühlte es tief und klar, daß jetzt bei Leipzig Preußens und Deutschlands Zukunft entschieden werden mußte.

Sobald York vorging, fand er des Feindes Hauptstärke nicht zwischen Freienroda und Radefeld, sondern zwischen Möckern und Eutritzsch. Im ersteren Dorfe hatte Marmont festen Fuß gefaßt. Unter solchen Umständen hatte York nicht nötig, nach Lindenthal zu marschieren. Er veränderte seinen Aufmarsch, schloß sich mit seinem rechten Flügel an den Vortrab Katzlers und Hillers und nahm Front gegen Möckern und Wahren.

Es war nachmittags gegen 2 Uhr. Im Süden Leipzigs war die böhmische Armee zu derselben Zeit in großen Nachteil, und schon hatte festliches Glockengeläut Napoleons vermeintlichen Sieg verkündet. Der losbrechende Schlachtendonner im Norden Leipzigs, die Überzeugung, daß auch die schlesische Armee den Feind angegriffen habe, erhob dort die schweren Herzen wieder, und in Leipzig selbst verfolgten die Bewohner zwischen Furcht und Hoffnung das Kampfgetöse bei Möckern.

Major von Hiller eröffnete mit acht Bataillonen, unterstützt von der Artillerie der Brigaden Horn und Hünerbein, den Kampf. Der Feind wehrte sich entschlossen. Zweimal nahm Hiller das Dorf, zweimal ward er wieder zurückgeworfen, und erst zum drittenmal faßten seine Leute festen Fuß in Möckern. Doch der Kampf ist zu ungleich, fünfzig Geschütze überschütten die Tapferen mit einem entsetzlichen Kugelregen. Immer mehr schmelzen die Häuflein der Preußen zusammen, fast alle Führer werden verwundet.

Da kommt Hilfe. Mit gefälltem Gewehr rückt die Brigade des Prinzen Karl gegen den Feind in und neben dem Dorfe und unterstützt die mit äußerster Kraft ringenden Hillerschen Bataillone. Ein gräßlicher Nahkampf entsteht, jeder Thorweg ist verschanzt, aus allen Winkeln und Löchern fallen Schüsse, alle Gefechtsordnung ist aufgelöst. In Trupps von dreißig bis vierzig Mann, bunt gemischt, Leute aus allen Bataillonen, dringen die Preußen von Haus zu Haus, schlagen mit den Kolben die Wände durch und machen alles nieder, was sich ihnen entgegenstellt. Prinz Karl wird verwundet, Oberst Lobenthal übernimmt das Kommando, doch auch dieser fällt. Major Leslin, von zwei Kugeln getroffen, schreitet noch immer vor den Seinen einher; endlich sinkt er um und ruft noch sterbend: „Kinder, in Gottes Namen drauf!“ Auch Hiller wird verwundet, desgleichen die Majore Maltzahn und Krosigk, und Graf Wedell sinkt mit den Worten in den Tod: „Rettet das Vaterland, helf uns Gott!“ Und dabei rücken immer zahlreicherer Feindesscharen vor, und die sehr gelichtete Brigade ist nicht mehr im stande, den einbrechenden Strom des Verderbens zu dämmen.

Während York Blücher bei Wiederitzsch, wo Langeron gegen Rey kämpft, um Unterstützung durch Sacken bitten läßt, rückt die Brigade Steinmetz ins Feuer. Steinmetz wirft nur drei Bataillone auf Möckern, indessen er selbst mit den anderen seitwärts des Dorfes gegen die todspeienden französischen Batterieen vordringt. Furchtbar wüten diese in seinen Reihen; - dennoch geht es vor mit dem Rufe: „Es lebe der König!“ und einer ruft dem andern ermutigend zu: „Nur aushalten, Brüder, heute wird Deutschlands Schicksal entschieden!“ Schon sind die braven Bataillone den Kanonen nahe, die gerissenen Lücken schließen sich immer wieder von neuem, schon wankt der Feind; - doch Marmont, die Gefahr erkennend, rafft alle seine verwendbaren Soldaten zusammen, stellt sich selbst an die Spitze eines alten Regiments und drängt abermals die Preußen zurück.

Ernst und schweigend hält York im Kugelregen. Sein scharfer Blick überfliegt den verderblichen Kampf. Sacken ist von Lindenthal noch nicht herüber, Fußvolk steht ihm nicht mehr zur Verfügung, da ist er entschlossen, sein letztes, seine Kavallerie, in den Kampf zu werfen. Sohr mit den brandenburgischen Husaren hält in seiner Nähe. „Major von Sohr, attackieren! Einhauen!“ ruft er mit lauter Stimme. Sohr ist bereit dazu und kommandiert: „Trompeter, Trab!“ Wie ein wildaufbrausender Gewittersturm, den Säbel hoch in der Rechten, stürzt der wackere Reiterführer an der Spitze seiner Schwadronen dem Feind entgegen. Zwei feindliche Bataillone werden aufgerollt, niedergehauen, zersprengt. „Kinder, Ihr gehört unter die Sterne des Himmels!“ ruft York den Husaren zu, und unter dem fortwährenden Signal „Galopp“ geht‘s auf die Höhe hinter Möckern zu. Da rafft der Feind noch einmal seine ganze Kraft zusammen, seine Kavallerie stürzt sich auf die unsere, wird aber in gewaltiger Abwehr geworfen, drei französische Vierecke werden zersprengt, und die brandenburgischen Husaren nehmen eine starke Batterie.

In diesem entscheidenden Augenblick läßt York auf der ganzen Linie Sturmmarsch schlagen, todesmutig geht alles vor. Wo die Gefahr am größten, ist York. An der Spitze der ostpreußischen Husaren stürzt er sich mit dem Rufe: „Es lebe der König! Marsch! Marsch!“ auf den Feind. Ungeheure Feuer-, Staub- und Rauchsäulen wirbeln auf, nur dann und wann blitzen die preußischen Bajonette und Degenklingen durch, aber Yorks Donnerstimme: „Drauf, Preußen, drauf!“ hält die vorwärts stürmende Masse zusammen. An die geordneten feindlichen Vierecke gekommen, stutzen die preußischen Reiter. Da wieder ruft York: „Noch diese, Kinder, und alles ist unser! Und bald sind die festen Mauern durchbrochen, die Feinde überritten und niedergestoßen.

Und immer mutiger und freudiger geht es vorwärts. Von allen Seiten wogen die preußischen Schlachtmassen zusammen, eine Flut, die den Feind erdrückt. Die Hornsche und Hünerbeinsche Brigade auf dem linken Flügel focht nicht minder heldenmütig. Ohne einen Schuß zu thun, gingen die Soldaten dem Feinde mit dem Bajonett zu Leibe, jedes Bataillon wollte das erste beim Anstürmen sein, und wenn die Kartätschensalven prasselnd in die Reihen fuhren, riefen die Leute: „Hurra, es lebe der König!“

Durch Möckern selbst braust zuletzt noch ein mächtiger preußischer Reitersturm. Ganze Bataillone Franzosen werfen sich nieder, um, von den Leichen ihrer gefallenen Kameraden bedeckt, ihn über sich wegbrausen zu lassen. Aber hinter den Geschwader springen sie wieder auf, selbst solche, die schon Pardon erhalten und die Gewehre weggeworfen haben, und beschießen die Preußen im Rücken. Da stürzt ein litauisches Dragonerregiment über sie her und richtet ein grauenhaftes Blutbad an. Was die Klingen nicht niedergehauen, wird von den Hufen der sich tummelnden Pferde in Grund und Boden getreten. - Auch Langeron hatte mittlerweile festgestanden und aufgeräumt; Klein- und Groß-Wiederitzsch, dreizehn Kanonen und etliche Adler sind in seinen Händen. In wirrer Flucht warf sich der Feind auf Gohlis und Eutritzsch, und mit einbrechender Nacht war Marmonts total geschlagener Heerhaufen bis dicht an Leipzig hingedrängt. Möckern hatte dem Feinde 6000 Tode und Verwundete, 2000 Gefangene und 53 Kanonen gekostet, doch auch das Yorksche Corps hatte 6000 tapfere Männer verloren.

Yorks Corps lagerte sich auf dem so blutig und schwer errungenen Schlachtboden. Als die Wachtfeuer brannten und der dunkle Herbstabend herniedersank, da ertönte, wie einst bei Leuthen, der Choral: „Nun danket alle Gott!“

Am 17. Oktober hatten die Heere der Verbündeten um Leipzig Ruhe, den 18. fanden die blutigen Kämpfe im Süden und Südosten statt, und den 19. brach die bisherige Macht und Gewalt des fremden Eroberers auf deutschen Boden für immer zusammen. Die heldenmütige Erstürmung Leipzigs seitens der verbündeten Heere bildete den Schlußstein der großen Völkerschlacht.

York, dessen Corps während der zwei letzten Tage in der Reserve gestanden, erhielt am 18. abends 9 Uhr Befehl, schleunigst nach Merseburg und Halle zu marschieren und dem fliehenden Feinde allen möglichen Abbruch zu thun. Am letzteren Orte wurde er und sein Corps von den Einwohnern wahrhaft enthusiastisch empfangen.

Am 20. Oktober brach er wieder auf, um dem Feinde in zwei Kolonnen über Laucha und Freiburg den Rückzug abzuschneiden. Auf diesem Marsch hatte Yorks Vorhut unter dem Grafen Henckel von Donnersmarck das Glück, 4000 österreichische Gefangene aus den Händen der sie eskortierenden Franzosen zu befreien, und bei Zscheiplitz waren es wieder die Yorkschen, die den fliehenden Feind zum Stehen zwangen, ihm 1200 Gefangene und 18 Kanonen abnahmen. Nach fortwährenden und teilweis sehr anstrengenden und blutigen Gefechten mit den Franzosen erreichte das Yorksche Corps äußerst erschöpft – von 38 000 Mann waren kaum noch 10 000 übrig – die Gegend von Gießen. Hier in den schönen und wohlhabenden Dörfern der Wetterau gab es einige Ruhetage, dann brach man wieder auf und erreichte am 14. November Wiesbaden, wo vorläufig Halt gemacht wurde und die erschöpften Truppen sich erholen konnten. - Und es war die höchste Zeit damit, sollte das tapfere Yorksche Corps nicht seiner völligen Auflösung entgegengehen.

Von den 106 Geschützen, mit denen das Corps im August ins Feld zog, waren noch 42 übrig; die anderen waren unbrauchbar geworden, ausgeschossen oder auf den schlechten Wegen zerbrochen. In einem ebenso traurigen Zustande befanden sich die Gewehre, die druch Nässe auf Märschen und in Biwaks teilweis unbrauchbar geworden waren. Ja, eine große Anzahl der Yorkschen Soldaten war sogar ohne alle Waffen. Überaus kläglich aber stand es mit der Bekleidung der Leute. Die Röcke waren überall zu kurz und zu eng, farblos und mit verschiedenen Lappen geflickt. Immer noch hatten die Soldaten keine Tuchhosen, an Schuhzeug war großer Mangel, selbst viele freiwillige Jäger gingen barfuß, und Mäntel, um sich nachts gegen die Kälte zu schützen waren nur sehr wenige vorhanden.

Nur notdürftig wurde allen diesen Mängeln abgeholfen, dabei auch das Corps durch Ersatzmannschaften wieder vervollständigt, so daß es am Ende des Jahres 1813 alles in allem 22 108 Mann mit 661 Offizieren unter den Waffen zählte. In die Stelle der bei Möckern verwundeten Brigadechefs Prinz Karl und Oberst Steinmetz traten des Königs Bruder, Prinz Wilhelm, und General Pirch.

So vergingen die letzten Wochen des großen Jahres 1813 den schlesischen Heere in Ruhe und Erholung, während sich die Diplomaten in Frankfurt herumstritten, ob es besser sei, jetzt Frieden mit Napoleon zu schließen oder ihn auch im eigenen Lande zu bekämpfen. - Lange schwankten die Ansichten, bis man sich entlich für den letzteren Plan entschied; es sollte nach Frankreich gehen, um, wie Blücher gesagt hatte, Napoleon vom Throne herunterzustoßen.


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