Graf York von Wartenburg (1. Kapitel)

 

Graf York von Wartenburg


Des Helden Leben und Thaten.


Erzählt von

L. Würdig


Glogau.


Verlag von Carl Flemming.


Kapitel I.


Yorks Familie, Geburt und Jugend; sein Eintritt in die preußische Armee und seine Entlassung aus derselben.


Seit dem Jahre 1855 befindet sich unter den ehernen Standbildern unserer großen vaterländischen Helden: Blücher, Bülow, Gneisenau und Scharnhorst – vor der Königswache in Berlin – auch das von Rauchs Meisterhand geschaffene Bild des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg, eines Mannes, der sein Vaterland von ganzer Seele liebte, und der in der entscheidenden Stunde mit einer That vorging, die, so sehr sie auch anfangs von einer gewissen Seite her getadelt ward, dennoch das erste Glied unserer Sklavenkette sprengte und dadurch Veranlassung gab, daß endlich nach großen Opfern die deutsche Sache wieder zu Ehren kam.

Yorks Name, der bereits nach den Gefechten bei Altenzaun und Wahren in dem schweren Unglücksjahre 1806 mit Achtung genannt, dann nach dem preußisch-russischen Bündnis vom 30. Dezember 1812 in Sturm und Schlacht hochbegeistert von Mund zu Mund getragen wurde, gehört mit zu den besten der deutschen Nation; er mahnt uns noch heute, wenn jemals wieder ein Feind unsere Marken bedrohen sollte, einmütig zusammenzustehen und gleich seinem Träger die Losung zu halten: „Siegen oder sterben!“

Die Familie York soll ursprünglich aus England stammen und erst zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts von Schweden nach Pommern gekommen sein. Von unseres Yorks Vorfahren, die nichts „als ihren Degen“ hatten, ist mit Bestimmtheit nur dessen Großvater, Johannes York oder Jarken, zu nennen, der zu Rowe, einem in der Stolper Gegend belegenen Dorfe, Prediger war. Von dessen fünf Söhnen, von denen zwei als Junker in die preußische Armee traten, ist hier der im Laufe des siebenjährigen Krieges zum Hauptmann ernannte David Jonathan von York hervorzuheben. Diesem gebar seine Ehefrau, Marie Pflugin, eines schlichten Potsdamer Handwerkers Tochter, den 26. September 1759 einen Knaben, unsern York, der in der Taufe die Namen Hans Ludwig David erhielt. Wo aber dieser eigentlich geboren wurde, ob in Potsdam oder auf dem der Familie gehörenden kleinen Gütchen Gustkow in Pommern, läßt sich nicht mit völliger Bestimmtheit feststellen. Yorks Lebensbeschreiber, Droysen, dessen treffliches Werk diesem kleinen Büchlein zu Grunde liegt, nimmt in einer späteren Beilage Potsdam als dessen Geburtsort an.

Wie dem aber auch sein möge, Hans Ludwig David von York war gerade zu rechter Zeit geboren, um als gereifter und geprüfter Mann in die Geschicke seines teuren Vaterlandes einzugreifen und seinen Namen mit ehernen Lettern im Buche der Weltgeschichte zu verzeichnen.

Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges kam Yorks Vater nach Königsberg und zeitweise, wie es scheint, nach dem Städtchen Braunsberg, und hier in diesen beiden Orten verlebte wohl der Knabe seine ersten Jugendjahre.

Um des jungen York Erziehung stand es nicht besonders. Zwar lernte er schon frühzeitig reiten, fechten, schießen, und was sonst noch in damaliger Zeit zur Ausbildung eines adeligen Söhnleins gehörte, für die Bildung des Herzens und Geistes jedoch trug man weit weniger Sorge. Soldat sollte der frische Knabe werden, sein Fortkommen im preußischen Heere suchen, und Kenntnisse, die das gewöhnliche Maß überstiegen, wurden von den meisten für unpassend und weibisch gehalten. Das „mir“ und „mich“ richtig zu gebrauchen, machte unserm tapfern York selbst noch als General große Not. „Beim Schreiben geht es allenfalls,“ äußerte er sich gelegentlich zu einem Freunde, „da macht man einen Zug, und jeder kann es lesen, wie er will, aber beim Sprechen muß man heraus damit.“

Nach dem vollendeten dreizehnten Jahre, den 1. Dezember 1772, trat York auf seinen innigen Wunsch in das zu Königsberg stehende von Borksche Regiment, verließ aber dasselbe schon ein Jahr darauf, um in das zu Braunsberg unter dem Generalmajor von Luck sich bildende Füsilierregiment einzutreten. Obgleich bei genanntem Regiment die löbliche Sitte eingeführt war, daß der Feldprediger den Junkern Unterricht erteilte, so ist doch wohl anzunehmen, daß York auch hier wenig Gebrauch davon gemacht haben mag. Wie gesagt, fechten, reiten, jagen und tanzen war ihm damals lieber; und wenn wir später an dem alten General York die Straffheit der Glieder, die Zähigkeit und Ausdauer seines mit schweren Wunden und Brüchen behaftenten Körpers bewundern, so dürfen wir nicht vergessen, daß er zu Braunsberg als Junker des Regiments von Luck den Grund dazu legte.

Nach langen drei Jahren kam endlich für den Strebsamen York das Fähnrichspatent an, und schon zwei Jahre später war er Lieutenant, Lieutenant mit zehn Thalern Gehalt monatlich! Das war, wie man zu sagen pflegt, zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Da Yorks Eltern unbemittelt waren und dem Junker nichts von Hause nachschicken konnten, war seine Stellung ein recht „glänzendes Elend.“ Später noch pflegte York oft scherzend zu den jüngeren Offizieren zu sagen: „Wenn einen Lieutenant hungert, so muß er sein Patent in die Hand nehmen und die Stelle lesen, daß er alle Vorrechte seines Standes genießt.“

Aber dennoch, mit dem Lieutenant war die zweite Stufe auf der militärischen Ehrenleiter erstiegen, und der junge York fühlte die Kraft und den Mut in sich, bald noch höher hinaufzukommen.

Der Dienst im Regiment Luck war streng und peinlich. Übungen und Paraden, Paraden und Übungen nahmen kein Ende. Nur alljährlich einmal kam in dies trostlose Einerlei Abwechslung und Aufregung. Im Hochsommer nämlich versammelten sich die ost- und westpreußischen Truppen in der Nähe von Graudenz, um vor dem König Friedrich II. Revue zu halten. Während die jungen Offiziere dieser Zeit stets mit großer Lust entgegensahen, rückte der Generalmajor Kaspar Fabian von Luck, der des alten Fritz Bitterkeit, Herbheit und Strenge beim geringsten Versehen zur Genüge kannte, stets mit dem Stoßseufzer aus Braunsberg, „daß der allmächtige Gott den Anfang und das Ende der Musterung zum besten wenden möge.“

Zu Anfang des Jahres 1778 erhielt das Regiment Luck Befehl, sich schleunigst mobil zu machen und nach der schlesischen Festung Glatz zu marschieren. Zwischen Österreich und Preußen waren nämlich wegen der bayerischen Erbfolge Streitigkeiten ausgebrochen, die nur durch das Schwert entschieden werden konnten. Der junge Kaiser Joseph II. Hätte wohl gern an dem alten Fritz wegen der Eroberung Schlesiens Revanche genommen.

Keinem kam diese Gelegenheit, sich im Kampfe hervorzuthun, erwünschter, als dem frischen und mutigen York. Aber aus dem drohenden Kriege, „dem Kartoffelkrieg,“ wie ihn das Volk spottweise nannte, ward nichts. Das ganze Unternehmen drehte sich um etliche Scheinmanöver, Überlistungen und unbedeutende Vorpostengefechte. Als einst der Lieutenant von York mit einer Abteilung Füsiliere auf Vorposten stand, kam der Obrist Erbprinz von Hohenlohe mit seinem Adjutanten und Holtzmann auf ihn losgesprengt, legte dem jungen Krieger weitläufig die große Wichtigkeit seines Postens auseinander und ermahnte ihn dringendst, denselben nicht zu verlassen. Beim Wegreiten wandte er sich noch einmal um und ermahnte ihn wiederholt, ja auf seinem Posten auszuharren. Lieutenant von York, den dieses Mißtrauen des Erbprinzen schwer verletzte, antwortete: „Beruhigen Sie sich, Durchlaucht; ein preußischer Edelmann hat nicht weniger Mut und Ehre als ein deutscher Reichsfürst!“ - worauf der Prinz zu seinem Adjutanten sagte: „kommen sie, lieber Holtzmann, der Herr Lieutenant wird hitzig.“

Das Regiment von Luck erhielt später Befehl, das in der Grafschaft Glatz stehende Corps des General von Wusch von Habelschwerdt aus zu decken. Man traf hier allerdings die vorschriftsmäßigen Sicherheitsmaßregeln, ohne aber im Grunde an einen wirklichen Überfall zu denken. Zum 18. Januar, dem preußischen Krönungsfeste, gaben die Bürger der Stadt den preußischen Offizieren einen glänzenden Ball. Während sich alle dem Vergnügen überließen, und der Wachtdienst in dieser Nacht wohl weniger streng versehen wurde, näherten sich die mit den Bürgern in Verbindung stehenden Panduren der Stadt, überwältigten die Posten, eroberten sämtliche Fahnen des Regiments und nahmen einen großen Teil der tanzenden Offiziere gefangen.

Lieutenant von York gehörte zu denen, die sich retteten. An der Spitze eines Trupps Füsiliere tapfer fechtend, schlug er sich durch die umringenden Kroaten, erreichte das freie Feld und kam glücklich nach Glatz.

Da jedoch an dem Regiment von Luck die Unehre dieser Schlappe haftete, sehnten sich die Offiziere danach, sobald wie möglich diese Scharte wieder auszuwetzen und durch Mut und Tapferkeit die Gnade des Königs wieder zu erringen, als plötzlich zwischen der streitenden Mächten ein Waffenstillstand geschlossen wurde, dem dann am 7. März 1779 der Friede zu Teschen folgte.

Dies war der erste Feldzug unseres York, der allerdings seinen Anforderungen an soldatischen Ruhm und preußische Waffenehre keineswegs entsprochen hatte. Das Gefühl, einem Regiment anzugehören, daß ohne Achtung in der Armee dastand, war ein überaus niederdrückendes für ihn. Gern hätte er, der doch bei dem nächtlichen Überfall persönlich seine Schuldigkeit gethan, sich versetzen lassen, doch bei der Ungnade des Königs gegen das Regiment schien ihm auch dieser Weg von vornherein ein vergeblicher.

Aber bald darauf wurde unser braver und gerader York von einem noch härteren Schlage getroffen. Als sich nämlich gelegentlich die Herren Offiziere auf der Parade neckten, was ein jeder von ihnen aus dem letzten „glorreichen“ Feldzug mitgebracht, sagte der Kapitän von Naurath ohne Hehl, daß er sich aus einer böhmischen Kirche eine schöne Altardecke angeeignet habe, worauf York ganz entrüstet die Worte ausstieß: „Das ist ja gestohlen!“ - Diese schwere Beschuldigung nötigte den Hauptmann von Naurath, die Angelegenheit vor ein Kriegsgericht zu bringen. Von diesem wurde York freigesprochen, und nun das Urteil dem König zur Bestätigung zugesandt. Mittlerweile weigerte sich York, noch länger mit dem Hauptmann von Naurath zu diesen. Als der letztere auf der Parade erschien und das Kommando übernahm, kehrte York das Sponton zur Erde. Sofort ward er in Arrest geführt. Kriegsgericht über ihn gehalten, und er zu einem Jahr Festungsstrafe verurteilt.

Da kam auch das erst nach Berlin gesandte Urteil zurück. Der König hatte es durchstrichen und Worte darunter geschrieben. „Geplündert ist nicht gestohlen; York kann sich zum Teufel scheren.“



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